4. Juli als Mahnung - Unabhängigkeit, Freiheit, ... ?

Unabhängigkeit – damals und heute: Gedanken zum 4. Juli

Am 4. Juli 1776, vor nahezu 250 Jahren,  wurde in Philadelphia ein Dokument unterzeichnet, das nicht nur den Grundstein für die Vereinigten Staaten von Amerika legte, sondern auch ein epochales Bekenntnis zu Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenrechten darstellte: die Unabhängigkeitserklärung. Seither feiern die USA diesen Tag mit Feuerwerk, Patriotismus und dem festen Glauben an die Ideale von Freiheit und Demokratie.

Doch während der 4. Juli für viele Amerikaner ein fröhlicher Feiertag ist, lädt er zugleich zur kritischen Reflexion ein – nicht nur über staatliche Souveränität, sondern auch über persönliche und gesellschaftliche Unabhängigkeit. Gerade in einer Zeit, in der Autokratie, Nationalismus und demokratiefeindliche Tendenzen weltweit zunehmen, stellt sich die Frage: Was bedeutet Unabhängigkeit heute – und für wen gilt sie wirklich?


Die politische Dimension der Unabhängigkeit

Die Vereinigten Staaten wurden in einem Akt des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung geboren. Die Unabhängigkeitserklärung richtete sich gegen das britische Königreich, das die Kolonien ohne Mitsprache regierte. Es war ein mutiger Schritt in Richtung Freiheit – auch wenn diese Realität zunächst nur für weiße Männer galt. Dennoch: Die Idee war radikal und universell – „alle Menschen sind gleich geschaffen“. Dieser Satz wurde später zur Inspirationsquelle für viele Freiheitsbewegungen weltweit.

Heute, 249 Jahre später, ist diese politische Unabhängigkeit längst nicht überall gesichert. Russland stellt mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine die Souveränität eines ganzen Staates infrage – ein Rückfall in imperiale Machtpolitik, die in einer globalisierten und rechtlich vernetzten Welt eigentlich überwunden sein sollte. Die freie Selbstbestimmung von Völkern ist keine Selbstverständlichkeit, sondern bleibt ein umkämpftes Gut.


Die persönliche Freiheit unter Druck

Doch vielleicht noch drängender ist die Frage nach der individuellen Freiheit – einer Unabhängigkeit, die nicht von äußeren Staaten, sondern von inneren politischen Entwicklungen bedroht wird. In vielen Ländern, auch in den USA selbst, gewinnen autoritäre, faschistische und rechte Kräfte an Einfluss. Unter Donald Trump wurden demokratische Institutionen offen infrage gestellt, die politische Rhetorik war nicht von Ausgleich, sondern von Spaltung geprägt. Die Demokratie wurde zum Instrument der Machtsicherung, nicht zum Ziel des Gemeinwohls.

Individuelle Unabhängigkeit bedeutet heute mehr denn je, sich gegen diese Entwicklungen zu stellen. Es geht um das Recht, frei zu leben – unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Es geht um das Recht auf Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, körperliche Sicherheit. Doch diese Rechte sind nicht selbstverständlich. Sie sind bedroht, wenn Hassrede normalisiert wird, wenn Populismus Fakten verdrängt und wenn Gewalt gegen Minderheiten toleriert oder gar angeheizt wird.


Die bedrohte Unabhängigkeit von Frauen

In dieser Debatte darf ein Aspekt nicht übersehen werden: die Unabhängigkeit von Frauen – über ihren Körper, ihr Leben und ihre Entscheidungen. Die Vorstellung, dass alle Menschen „gleich geschaffen“ sind, bleibt ein leeres Versprechen, solange Frauen grundlegende Rechte verwehrt oder zurückgenommen werden.

Besonders in den USA ist in den letzten Jahren ein besorgniserregender Rückschritt zu beobachten: Mit der Aufhebung des Grundsatzurteils Roe v. Wade hat der Supreme Court das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung gekippt. Millionen von Frauen verlieren damit die Kontrolle über ihre Gesundheit, wie Familienplanung, Geburtshilfe, Sexualgesundheit und anderen Aspekte. In einigen Bundesstaaten drohen selbst bei medizinischen Notfällen strafrechtliche Konsequenzen – für Ärztinnen wie für Patientinnen.

Ungewollte oder risikobehaftete Schwangerschaften sind nicht nur medizinische, sondern auch zutiefst gesellschaftspolitische Fragen. Wenn Frauen gezwungen werden, eine Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen, widerspricht das fundamental dem Prinzip der Selbstbestimmung – einem der Grundpfeiler der Unabhängigkeit. Doch es geht um mehr als das Recht auf Abtreibung: Weltweit kämpfen Frauen um Zugang zu Gesundheitsversorgung, Schutz vor Gewalt, rechtliche Gleichstellung und ökonomische Unabhängigkeit.

Freiheit ist nicht geschlechterneutral. Wer Unabhängigkeit ernst meint, muss sich auch für die Rechte von Frauen einsetzen – für eine Gesellschaft, in der alle Menschen über ihr Leben selbst bestimmen können, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft.


Der 4. Juli als Mahnung

Der 4. Juli sollte deshalb nicht nur als Geburtstag einer Nation verstanden werden, sondern auch als Mahnung an das fortdauernde Ringen um wahre Freiheit. Freiheit ist kein Zustand, der einmal erreicht und dann dauerhaft gesichert ist. Sie muss verteidigt, erneuert und für alle Menschen zugänglich gemacht werden – nicht nur für die Mehrheit oder für Privilegierte.

Wenn wir heute auf den 4. Juli blicken, dürfen wir uns nicht mit Feuerwerk und patriotischer Rhetorik zufriedengeben. Wir müssen uns fragen, wie wir die Ideale von 1776 ins 21. Jahrhundert übersetzen können.

Welche Verantwortung tragen wir für die Freiheit anderer – ob in der Ukraine oder auch im eigenen Land?

Und was bedeutet es heute, ein freier Mensch zu sein?

Diese Fragen umfassen das Recht von Frauen ein, über ihren Körper, ihr Leben und ihre Zukunft selbst zu bestimmen.
Solange Gleichberechtigung nicht gelebte Realität ist, bleibt Freiheit unvollständig.
Der 4. Juli erinnert uns nicht nur an die Vergangenheit, sondern fordert uns auf, für eine Zukunft zu kämpfen, in der Unabhängigkeit für alle gilt – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sozialem Status.


Fazit

Die Geschichte der Unabhängigkeit ist eine Geschichte des Muts – aber auch der Verantwortung. Wer Freiheit beansprucht, muss sie auch schützen: vor äußeren Bedrohungen, vor inneren Feinden – und vor struktureller Ungleichheit.

Freiheit bedeutet mehr als nationale Souveränität. Sie umfasst das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, den Zugang zu medizinischer Versorgung, die Gleichstellung aller Geschlechter und die Anerkennung individueller Lebensentwürfe.

Der 4. Juli kann ein Tag des Feierns sein. Doch er sollte vor allem ein Tag des Nachdenkens und des Engagements sein – für eine Welt, in der Freiheit nicht das Privileg einiger weniger ist, sondern das unveräußerliche Recht aller Menschen. Nur dann wird die Idee von 1776 wirklich lebendig – und zukunftsfähig.


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