Gedanken zur Sterbehilfe - März 2024

Beim Verfolgen und Einlesen in die aktuellen Verfahren gegen Dr. Turowski und das Urteil welches vor kurzem gegen den Psychiater Johann Spittler erging, finden sich leider Parallelen die verschiedenste Gedanken bei mir auslösen.

Am offensichtlichsten ist der Auslöser für die Verfahren:
Beide Ärzte kamen vor Gericht, da sie Patienten mit psychischen Krankheiten, die den Wunsch zu sterben begründeten, bei ihrem Tod unterstützten.

Im Fall von Spittler, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, entschied das Gericht, dass die psychische Krankheit Oliver H.'s, dem an Wahnvorstellungen litt, seinen „freien Willen“ aufhob. Daher hätte Spittler ihm keine Infusion zur Verfügung stellen dürfen, die Oliver H., wie das Gesetz es auch vorschreibt, selbst aktiviert, geöffnet hat.

Dr. Turowski, 74, steht vor Gericht, weil er einer stark depressiven Patientin half, sich das Leben zu nehmen, ob durch deren Krankheit deren Fähigkeit zum „freien Willen“ eingeschränkt steht im Zentrum des Verfahren.
Spittler erhielt eine Gefängnisstrafe von drei Jahren wegen indirekten Totschlags, und Turowski droht eine ähnliche Strafe.

Der Sachverhalt dieser beiden Ärzte zeigt weniger die rechtlichen Grauzone auf, mehr sehe ich da Konflikt zwischen emphatischen Denken und Tun und dem was rechtliche Rahmenbedingungen nun einmal sind, in der diese und alle Ärzte, die Sterbehilfe leisten, tätig sind. 


Bundesverfassungsgerichtsurteil im Februar 2020

Wie schon so oft hier in meinem Blog beschrieben und beleuchtet, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 eingetretene Liberalisierung trifft in der Praxis auf strafrechtliche Beschränkungen.

In Bezug auf autonomen freien Willen erklärte das Verfassungsgericht, dass unter anderem der Entschluss zur Selbsttötung auf einem „autonom gebildeten freien Willen“ beruhen muss, um straffrei zu bleiben. Eine freie Entscheidung setzt voraus, dass man in der Lage ist, den Willen „frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ zu bilden.


Deutscher Ethikrat 

Auch der Deutsche Ethikrat meint, dass „psychische Störungen“ nicht automatisch die Fähigkeit für eine selbstverantwortliche Entscheidung zum selbstverantwortlichen Sterben ausschließen. Es kommt darauf an, wie stark die Erkrankung ausgeprägt ist. Bei affektiven Störungen wie schweren Depressionen liegt normalerweise eine „normativ relevante Beeinträchtigung der Selbstbestimmungsfähigkeit“ vor, so die Stellungnahme des Ethikrats.


Hintergründe zu den aktuellen Verfahren gegen Dr. Turowski und Johann Spittler 

Oliver H. litt seit 13 Jahren an paranoiden Wahnvorstellungen und Isabell R., 37, eine Patientin von Turowski, litt seit 16 Jahren unter schweren depressiven Phasen und hatte bereits zwei Suizidversuche hinter sich. In beiden Fällen ging und geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Beide Sterbewilligen aufgrund deren chronischen psychischen Krankheiten ihr Leben beenden.

Dr. Turowski argumentiert, dass es diskriminierend gegenüber psychisch Kranken wäre, ihnen im Gegensatz zu schwer körperlich Kranken ärztliche Unterstützung beim Sterben zu verweigern.

In beiden Fällen zogen weder Spittler noch Turowski einen weiteren Arzt oder Psychiater zur Begutachtung hinzu. Auch wurden, so wie es erscheint, die medizinischen Unterlagen der Patienten nicht in vollem Umfang geprüft.


Hintergrundinformationen

In einer Studie aus München aus dem letzten Jahr, auf  die ich auch schon eingegangen bin - Link hier,  wurde festgestellt, dass in den meisten der 37 Fällen in München von ärztlicher Sterbebeihilfe in den Jahren 2020 bis 2022 die Beihilfe zum Sterben durch Sterbehilfevereinen und nicht durch Hausärzte, die den Patienten gut kennen, durchgeführt wurde. In 17 Fällen wurden sowohl die Begutachtung des Falls, die Assistenz zum Sterben als auch die Untersuchung des Leichnams von ein und demselben Arzt durchgeführt.

In Österreich ist die ärztliche Sterbehilfe ebenfalls straffrei, jedoch müssen die Patienten zuvor von zwei Ärzten, darunter einem Palliativmediziner, gesehen werden. Sollte es eine Vorgeschichte von psychischer Krankheit geben, muss zudem die Entscheidungsfähigkeit des Patienten durch einen Psychiater oder klinischen Psychologen beurteilt werden.


Perspektive

Eine Arbeitsgemeinschaft Ethik in der Medizin arbeitet zurzeit an ärztliche Richtlinien, die die Verfahren näher regeln könnten, auch wenn diese keine endgültige juristische Verbindlichkeit besäßen, so würden solche 'Rahmen' eine Orientierung bieten und Vertrauen schaffen, dass Ärzte nicht mit dem Recht oder dem Berufsrecht in Konflikt kommen - neben dem Gewissenskonflikt der ohnehin keinem Helfenden oder Arzt / Ärztin abzunehmen ist, auch durch keine Richtlinie. 

Nach meinem Dafürhalten, wäre es hilfreich, wenn die  Vorgespräche, Anamnese, aktuellen Situation und Beschwerden, die persönliche und gesundheitliche Vorgeschichte, besondere Dispositionen, die Lebensumstände, die Beihilfe zum Sterben selbst und die Untersuchung des Leichnams durch mindestens zwei unabhängige Ärzte durchgeführt würden.
Bei diagnostizierten psychischen Störungen sollte obligatorisch ein Psychiater hinzugezogen werden, wie die oben genannten Fälle oder auch wie bei meiner Frau sollte dies nicht notwendig sein beim Verdacht auf eine Depression, da dies bei schwerwiegenden Krankheiten dann immer unter einem Verdacht stehen würde. Wie gesagt bei diagnostizierten psychischen Störungen sollte ein Psychiater die Entscheidungsfähigkeit des Patienten bestätigt oder auch nicht - um Rechtssicherheit zu haben.
Solch eine Richtlinie könnte Hausärzte entlasten, wenn ein Patient mit Gedanken zum Sterben, oder ein selbstbestimmtes Sterben äußert.


Schlussgedanke

All diese möglichen Regelungen und Richtlinien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen , dass jede Regelung in der Sterbehilfe immer nur eine brüchige Hilfskonstruktion sein wird - Leben und Sterben, Leiden und Verlust von Würde und Lebensqualität ist individuell.
Die Tragik des Sterbens, für Sterbende, Angehörige und Helfer*innen, wird, wenn eine Mensch sein Leben beendet, dadurch nicht gemindert.


Mehr zu ...

dem Verfahren gegen Dr. Turowski

zu dem Urteil gegen den Psychiater Johann Spittler 

zu dem was in der Sterbehilfe erlaubt ist


Zahlen sprechen deutlichst für die Be­für­wor­tung von Sterbehilfe - Zahlen sowie Fakten und Gründe




Comments

  1. Schreiben Sie mir Ihre Kommentare. Auch wenn ich keine veröffentlichen werde, lesen werde ich diese immer, und antworten wenn nötig, aber wachsen und mit arbeiten immer.

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