Erweiterter Selbstmord - Zahlen und Fakten

In meinem heutige Artikel, der auf mehrfachen Wunsch von meinen Lesern und meinem realen Umfeld kam, werde ich über Erweiterter Selbstmord schreiben.

Ich muss selber sagen, es ist ein sehr mir nahe gehendes Thema - bei dem ich selber eine Herausforderung sah und sehe.

Somit das erste mal bei meinem Blog - Triggerwarnung:
Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Leser*innen wirken - Wenn Sie darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen oder mit jemandem reden möchten - hier finden Sie Hilfe: Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.
Die Telefonnummern lauten 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.
Weitere Rufnummern und Kontakte siehe unten.

In zwei Sätzen ...

Unter einem erweiterten Selbstmord verstehen Juristen und Psychologen, dass der Täter einen oder mehrere, oft ihm nahestehende, Menschen mit in den Tod nimmt.
Als Erweiterten Suizid, hier und da auch Mord-Selbstmord, oder auch Homizid-Suizid genannt, in der juristischen Literatur verwendet man zu aller meist den Begriffes des „Mitnahmesuizides“ - Als Erweiterten Suizid / Selbstmord bezeichnet man eine Selbsttötung, die mit der Tötung einer weiteren Person ohne deren Zustimmung und Wissen einhergeht (im Gegensatz zum Doppelsuizid). Strafrechtlich finden hier insbesondere die §§ 211 bis 213 StGB Anwendung


Und bevor ich näher ins Detail gehe ...

Ich habe mehrfach die Abgrenzung von Freitod und Suizid dargelegt - dass die Wortwahl die Gedanken beeinflussen bis bestimmen - dies ist um so mehr bedeutend wenn aus einem Suizid ein Mord und ein Erweiterter Suizid wird. (hier gerne nochmals den Link rund um die Antonymie von Freitod vs. Suizid und Lebensmüde vs Lebenssatt)


Einführung

Es ist ein seltenes Ereignis, und die Inzidenz, medizinischen und juristischen Statistiken, primär aus den Vereinigten Staaten belegen, dass die Zahlen relativ konstant bei etwa 0,2–3:3/100,000 pro Jahr beziffert werden. Aber die niedrigen Zahlen sind keine Hilfe für die katastrophale und dauerhafte Folgen für Familien und Gemeinden im Zuge von Mord-Selbstmord-Vorfällen - alle und jeder haben ein Einzelleben verloren.

Auch wenn das Auftreten von Mord-Selbstmorden / Erweiterten Selbstmorden gering, stabil und ähnlich dem ist, was in der Vergangenheit berichtet wurde. Gibt es jedoch einige deutliche Risikofaktoren, darunter:

  • Meist männliche Täter
  • Depressionen (häufiger) 
  • Drogenmissbrauch (nicht ganz so häufig)
  • Und gefährdet sind häufiger ältere männliche Pflegekräfte.

Frauen, die Mord-Selbstmord begehen,  neigen überwiegend dazu ihre Kinder und dann sich selbst zu töten. Männer hingegen neigen dazu, ihre Ehepartner oder Partner zu töten.


Der Erweiterte Suizid / Selbstmord, die  Kombination von Mord und Selbstmord kann verschiedene Formen haben:

  • Mord, der den eigenen Selbstmord mit sich bringt, wie Selbstmordattentate oder der vorsätzliche Unfall eines Fahrzeugs mit dem Täter und anderen
  • Mord an Unbeteiligten, Personen im Umfeld an Polizisten - wobei auch oft das Ziel / Selbstmordziel ist, durch einen  Polizisten erschossen zu werden 
  • Mord mit einer Person mit Selbstmordgedanken
  • Gemeinsamer Selbstmord in Form des Tötens des anderen mit Zustimmung und dann des Tots selbst
  • Selbstmord vom Piloten

Weitere Motivformen

  •     Selbstmord nach Mord, um Strafen zu entgehen
  •     Selbstmord nach Mord als Form der Selbstbestrafung wegen Schuldgefühlen

Ein erweiterter Suizid ist, in meiner Wahrnehmung, die schwerwiegende Form der Selbsttötung, weil mindestens ein weiterer Mensch in die Tötungshandlung einbezogen wird. Derartige Selbsttötungen werden in rascher chronologischer Abfolge begangen und meisten am selben Ort oder in räumlicher Nähe.
Die zumeist männlichen Täter sind im höheren Alter und verwenden hauptsächlich Schusswaffen. Ihre Opfer sind meistens ihre Partnerinnen, seltener ihre Kinder oder andere Personen - im Gegensatz dazu nehmen weibliche Personen eher ihre Kinder mit in den Tod.
Bei den meisten Fällen spielten Depressivität, einhergehend mit psychiatrische Auffälligkeiten (narzisstische Persönlichkeitsmerkmale, emotionale Instabilität, Impulsivität, Substanzmissbrauch) eine Rolle. Studien deuten den erweiterten Suizid als Unfähigkeit, auf Lebensveränderungen zu reagieren, sowie als Versuch, die Selbstwahrnehmung und das persönliche Lebenskonzept zu schützen.
Viele Morde endeten mit Selbstmord, wie bei Amokläufen und Schießereien. Einige Fälle von religiös motivierten Selbstmorden beinhalten auch Mord.


Verlustängste und Rachegedanken und Egoismus, unter dem viele eher eigennützig und gleichgültig handeln, bis hin zu Altruisms.

Wenn ich solche Meldungen höre und lese, sowie wie ich nun diese Dinge zum Erweiterten Suizid zusammenfassen, frage ich mich wieder und wieder, was kann einen Menschen dazu bewegen, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Menschen das Leben zu nehmen?
Auch wenn sich durch Studien und Untersuchungen grundsätzlich zeigt, dass ein Großteil aller Suizidfälle mit psychischen Erkrankungen im Zusammenhang steht und bei vielen Betroffenen auch eine akute Lebenskrise ausschlaggebend ist.
Menschen, die erweiterten Suizid begehen, handeln manchmal aus vermeintlich altruistischen Motiven, zeigen die Fälle von durch Frauen verübte erweiterten Suiziden. Das gelte etwa für Mütter, die ihre Kinder mit in den Tod nehmen, um sie nicht vermeintlich allein zurückzulassen.
Wer sich gemeinsam mit seinem Partner umbringt (hier ist explizit der gemeinsame Freitod, der wohlerwogen und beiderseits freiverantwortliche entschieden und jeder für sich seinen eigene finalen Handlung hat, ausgenommen und hat keinerlei Ähnlichkeit oder Sinnverknüpfung) , bei dem spielen oft Verlustängste eine Rolle - oder aber ebenfalls Rachegedanken. Das wäre ein Motiv, das sich auch auf fremde Opfer übertragen lässt: Man will andere genauso leiden lassen, wie man selbst gelitten hat.

In der Luftfahrtbranche gab es sehr vereinzelt Unglücke, die man mit einem Suizidversuch von Pilot oder Kopilot in Verbindung gebracht hat - auch wenn die Daten der Luftfahrtbehörden kleine Fallzahlen nennen, die US-amerikanischen Federal Aviation Administration nennt in einem Bericht der "Washington Post" 24 Fälle, in denen amerikanische Piloten sich in den letzten 20 Jahren während eines Fluges umgebracht hätten. So ist jeder einzelne Fall tragisch, traurig und für jeden der damit Verbindung / Erinnerung hat traumatisch.


Schlussgedanke:

Bessere Suizidprävention und - forschung muss das Ziel sein - wie auch Rahmenbedingungen, dies müssen keine Gesetze sein, für ein würdiges Sterben. Politiker*innen, Mediziner*innen, Forschende und uns als Gesellschaft und Niemanden darf die hohe Zahl von Suizidtoten gleichgültig lassen und niemand darf alleine gelassen werden seien es Suizidwillige die Hilfe zur Bewältigung brauchen und Freitodwillige die Hilfe zu einem wohlerwogenen 'Gehen' bekommen können.

Nur durch genaue Kenntnis der Häufigkeit und der Charakteristika von Erweitererten Suiziden lassen sich wirksame Präventionsstrategien verfolgen, was zur Verhinderung von zukünftigen Erweitererten Suiziden beitragen kann. Außerdem erscheint es als wichtig, die Gesellschaft über diese Umstände genauer aufzuklären, angefangen bei Fachkreisen und dies beginnt schon bei Ärzten, mit denen ich im Rahmen von Freitodbegleitungen viel zu tun habe und da oft auf Uninformiertheit treffe, insbesondere um zunehmende Vorurteile gegenüber depressiven Menschen zu verhindern.

Entscheidend in Hinblick auf die Prävention von Erweitererten Suiziden  bleibt die frühe Erfassung und Behandlung von depressiven Symptomen des Patienten und die direkte Frage des Arztes, von jedem um diese Menschen herum nach Suizidalität, wenn es Hinweise darauf gibt, sowie die Frage nach dem Schicksal der Familienmitglieder im Falle eines Suizides. 


Und nun noch meine Quellen:

The perversion of virtue: Understanding murder-suicide. New York, NY: Oxford University Press []

The psychology of suicide-murder and the death penalty  [ScienceDirect]

Murder–suicide: A reaction to interpersonal crises [ScienceDirect]


... und statistische Zahlen:

Beziehungen zwischen Tätern und Opfern bei 73 Erweiterten Suiziden in der Schweiz 1991–2008

Altersverteilung von Mord- und Suizidopfern nach Geschlechtern. Mord-Selbstmord-Ereignisse in Schweizer Haushalten 1991–2008.

Merkmale der Täter von Tötungsdelikten/Selbstmorden und der Opfer, Schweiz 1991–2008.

Quelle:

https://journals.plos.org/plosone/article/file?id=10.1371/journal.pone.0053714&type=printable



Weiter Artikel in diesem Kontext

Strategie zu Suizidprävention

Felder der Suizidprävention und was jeder konkret tun, um Selbsttötungen vorzubeugen

Über den Wunsch zu Sterben - Über Freitod und Suizidgedanken reden

Suizidprävention - Suizid; Wie helfen und verhindern? Freitod; Wie helfen und ermöglichen?



Kontakte - Hilfe Im Fall von psychiatrischer Krisen

Notfall

Notaufnahme in der Akutpsychiatrie: In größeren psychiatrischen Kliniken existieren Notaufnahmen mit Fachärzt*innen, die ähnlich funktionieren wie die körperliche Notfallmedizin. Diese sind 24 Stunden täglich erreichbar.
Schnelle Hilfe im Notfall: 112 (Rettungsdienst)

Bei Vergiftungen:

Bei lebensbedrohlichen Symptomen wie Bewusstlosigkeit, Krampfanfällen etc. rufen Sie bitte direkt den Notarzt – in Deutschland über die Nummer 112

Giftnotruf

Kostenfreie Informationen bei Verdacht auf Vergiftungen geben rund um die Uhr folgende Giftnotrufe:

Giftnotruf der Charité: 030 19240

Giftnotruf der TU München: 089 19240

Vergiftungs-Informations-Zentrale: 0761 19240



Hilfe - Rufnummern und Websites

Sozialpsychiatrische Dienste
Die Sozialpsychiatrischen Dienste unterstützen in der ambulanten Versorgung und Hilfe von Menschen mit chronischen psychischen Störungen. Sowohl Betroffene als auch Angehörige können sich beraten lassen. Die Psychiatrischen Dienste sind lokal organisiert und am besten durch eine Eingabe über eine Suchmaschine wie google.com mit den Suchbegriffe:
  • Sozialpsychiatrischer Dienst
  • eigenen Wohnort


SeeleFon/Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. (BApK)
Bundesweite Telefon- und Mail-Beratung für Angehörige von psychisch erkrankten Menschen. Die beratenden Personen, die selber Angehörige sind, können aus eigener Erfahrung viele nützliche Hilfestellungen geben und wissen, wie wichtig es ist, verständnisvoll zuzuhören. 
Telefon: 0228 71002424


Telefonseelsorge, bundeseinheitliche Nummern
Die Telefonseelsorge bietet kostenfreie Beratung per Telefon, Mail, Chat oder vor Ort. Sie ist für jeden da, für alte und junge Menschen, Berufstätige, Nicht-Berufstätige, Auszubildende, Rentner, für Menschen jeder Glaubensgemeinschaft und natürlich auch Menschen ohne Kirchenzugehörigkeit. Die Gespräche sind anonym und die Mitarbeiter*innen rund um die Uhr erreichbar.
Telefon. 116 123

http://www.telefonseelsorge.de/

Evangelisch.: 0800  111 0 111 

Katholisch: 0800  111 0 222


Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche und Eltern
Nummer gegen Kummer e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern ein kompetenter Ansprechpartner zu sein bei kleinen und großen Sorgen, Problemen und Ängsten. 
Telefon Beratung für Kinder und Jugendliche: 116 111
Elterntelefon: 0800 111 0 550

https://www.nummergegenkummer.de/


Nationale Kontakt- und Informationsstelle (NAKOS) zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen
Die NAKOS ist die zentrale bundesweite Anlaufstelle in Deutschland rund um das Thema Selbsthilfe. Als Knotenpunkt vernetzt NAKOS die relevanten Akteure. Interessierte, Betroffene und Angehörige finden hier alle notwendigen Informationen. Dabei zeigt NAKOS die Vielfalt und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Selbsthilfe auf und fördert und vertritt sie gegenüber Politik und Gesellschaft.
Telefon: 
030 - 31 01 89 60

https://www.nakos.de/



Weitere Hilfe - Gesprächsangebote und Suizidprävention

Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.

Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 - 443 509 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Hebräischsprachige Hotline "Matan": ‚Matan‘ ist ein Projekt der Beratungsstelle ‚OFEK‚ e. V. und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).  Telefonnummer: 0800  - 000 16 42  Hotline-Zeiten: Jeden Tag der Woche 20:00-22:00 - Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Telefonseelsorge (KTS) durchgeführt und durch die Deutsche Fernsehlotterie gefördert.

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de










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