Ambivalenzen rund um die Sterbehilfe

Zu Sterben, sich das Leben zu nehmen, jemanden zu helfen zu sterben ist unwiderruflich - es gibt keine Möglichkeit, sich danach anders zu entscheiden. 
Ich wünschte ich könnte dies so schreiben und dafür zu sorgen, sicher zu stellen, dass Sie als Leser nun zunächst einen Moment oder länger über genau diese Aussage nachzudenken. Bitte tun Sie es.

< Denkpause Bitte>



Ambivalenz - das Erleben von inneren Konflikten

Die Bedeutung von Ambivalenz ist weitreichend und beeinflusst unser tägliches Leben auf vielfältige Weise. Der Begriff „Ambivalenz“ beschreibt den Zustand, in dem wir zwiegespalten sind und gleichzeitig positive und negative Reaktionen oder Emotionen gegenüber einer Person, Situation, einem Objekt oder einer Idee empfinden. Dieses Konzept spiegelt die komplexen und vielschichtigen Aspekte unserer menschlichen Gedanken und Emotionen wider.

Als Ambivalenzkonflikt bezeichnet einen Konflikt, bei dem ein angestrebtes Ziel sowohl positive als auch negative Aspekte aufweist. Der Weg / das Ziel ist also anziehend und abstoßend zugleich.

Ambig zu sein, bzw „Ambiguität“ bezieht sich auf eine Situation, in der ein Begriff, eine Aussage, ein Satz oder eine Handlung mehrdeutig oder mehrdeutig interpretiert werden kann. Es handelt sich um eine Unklarheit oder Zweideutigkeit in der Bedeutung von Wörtern oder Ausdrücken, die zu Verwirrung oder Missverständnissen führen kann.

Das Leben besteht aus vielen „Einerseits“ und „Andererseits“ wie zum Beispiel ...

Einerseits …      Andererseits 
Euphorie      Zweifel
Begeisterung       Unsicherheit 
Lust      Ängstlichkeit






... und genau diese Extremen machen das Leben aus und machen es lebenswert.


Ambivalenz - ein wesentlicher Teil des Leben und vom Leben

Viele Gegner der Selbstbestimmung zu einem wohlerwogenen Freitod nennen schon den Prozess, die vorausgehende Zeit der Ambivalenz als Grund generell gegen diese freie Entscheidung zu sein. Darum haben ich schon vor einiger Zeit den Artikel unter der Headline "Ambivalenz hinsichtlich des Wunsches zu leben oder zu sterben ist ein grundlegendes Merkmal eines Jeden" geschrieben.

Für viele Menschen, auch in verschiedenen Thesen findet sich ein Konflikt, wenn es sich um Autonomie und Ambivalenz geht oder gar für die Vertreter gar unvereinbar sind.
Für mich hat Ambivalenz und Autonomie als Prozess und als Zustand eine essentielle und fundamentale Verknüpfung / Verkettung.

Autonomie baut und gründet sich auf Ambivalenz. 

Das Erkennen von und Festhalten an Ambivalenzkonflikten stellt, für mich, zunächst einmal eine 'Behauptung des Selbst' dar. Ambivalenzkonflikte können und tun dies, so wie ich es sehe und überzeugt bin, eine konstruktive Rolle für die Ausbildung und Aneignung des eigenen Selbst und für das Führen eines im emphatischen Sinne eigenen Lebens spielen.

Ein guter und angemessenen Umgangs mit Ambivalenzkonflikten bildet für uns Menschen und unsere Persönlichkeit, Definition unseres Selbst eine Brücke zwischen den Aspekten, zwischen dem 'Einerseits' und 'Andererseits', zeigt die ganze Bandbreite zwischen dem Einen und Anderen.
Es braucht oft Mut zur Ambivalenz und es ist keine Schwäche.
Aus diesem Mut diese Ambivalenzkonflikte wahrzunehmen und dann Bestenfalls verstehen zu wollen, erwächst ein lebendigen Selbst - Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung.
Um mit Ambivalenzkonflikten auf gute und autonome Weise umgehen zu können, müssen Personen die Fähigkeiten zur Selbsterkenntnis, zum Selbstverständnis und zur Selbsterkundung sowie die Fähigkeiten zur Integration besitzen, aber ebenso Entschlussfähigkeit und Entschlusswillen. 
Über die einzelne Personen hinausgehen sehe ich in dieser Koexistenz und der Verknüpfung von Autonomie und Ambivalenz die gesellschaftlichen sozialen Dynamiken, denen diese Fähigkeiten im ethischen und moralischen Kontext unterliegt. 

Ambivalenz Konflikte

Wenn wir uns Leben und Sterben betrachten, glückliches Leben und leidvolles Existieren betrachten - gibt es dazu unterschiedliche Sichtweisen ..
  • korrespondieren lebensweltlich normative Mehrdeutigkeiten, Ambiguitäten und Ambivalenzen
  • gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen ethischer Perspektive und der glaubensgetriebenen Seelsorge
  • gibt es eine Konfrontation mit gegensätzlichen und gleichwertigen Normen
  • Verhaltenserwartungen und sozialen Rollenverständnissen
  • allgemeine Definitionen von Würde versus persönlicher Sichtweise und Werten
Ambivalenzkonflikte gehen oft einher mit Taxonomie, der Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Werten, Inhalten etc. und da allgemeinhin mit 'Worten' die Benennung erfolgt ist eine gute dem Dialog zuträgliche Sprache unabdingbar. Damit komme ich wenn es um Sterbehilfe geht um einen Hinweis auf Freitod versus Suizid nicht umhin kommen.


Ambivalenzen bei schwer kranken, hochaltrigen und sterbenden Menschen

Einerseits … Andererseits
… nicht mehr leben wollen    … sich nicht töten wollen
… leben wollen    … das Lebensende herbeisehnen
… Leid nicht mehr ertragen können    … Leid als gottgegeben hinzunehmen
… würdig leben wollen    … würdig sterben wollen

… andere in die Entscheidung einbeziehen wollen   

   … sich nicht reinreden lassen wollen
… den Tod kommen zu lassen    … dem Tod entgegenzugehen
… Dinge einfach geschehen lassen    … die Kontrolle behalten zu wollen
… langsam und passiv erleben / erdulden
   … schnell und aktiv leben / lenken
… selbstständig und selbstsorgend leben wollen    … sich der Sorge anderer anvertrauen wollen
… Der Mensch im Mittelpunkt - Menschlichkeit im Sterbeprozessn    … Der Glaube im Mittelpunkt - Unantastbarkeit des Lebens darf nicht der Selbstbestimmung des Menschen untergeordnet sein


Ambivalenzen bei Angehörigen, Freunden und anderen Betroffenen (Ärzten, Ärztinnen, Pflegenden usw.)

Einerseits … Andererseits
… festhalten wollen / können    … loslassen wollen / können
… das Ende der Leiden wünschen    … das Lebensende auch unter Leiden akzeptieren
… retten wollen    … das Unvermeidliche akzeptieren können






Ambivalenzen bei Seelsorgenden

Einerseits … Andererseits 
… an der Unantastbarkeit des Lebens festhalten   … bei der Bewältigung des Leidens helfen
… sich selbstbestimmt fühlen    … Ohnmacht erleben
… die ablehnende Haltung der Kirche
   gegenüber dem assistierten Sterben teilen
   … dem individuellen Menschen
      bei der Bewältigung des Lebens unterstützen
… Abscheu, Irritation, Überforderung angesichts
   der Konfrontation mit der sterbewilligen Person
   … Respekt für den selbstbestimmten Sterbewunsch
… umstimmen wollen    … ein- / zustimmen wollen
…     … 



Es ist für mich ebenso unzweifelhaft, dass wenn es um Leben und Sterben geht um mannigfaltige moralische Konflikte beziehungsweise, oder genauer gesagt Situationen geht, die sich in solche Gedanken- und Sprachspiele übersetzen lassen. Sie entstehen in der Konfrontation zwischen moralischen Normen (etwa Pflichten des Lebensschutzes, gegenüber sich selbst oder Solidaritätspflichten) und konkreten Wünschen (etwa nicht mehr leben, das Leiden abkürzen zu wollen oder Abscheu gegenüber der Person oder Situation zu verspüren). 




Schlussgedanke(n)

Die Schwankungen bei der Meinungsbildung sollten jedoch nicht als Schwäche angesehen werden, wie es gerne Gegner der Selbstbestimmung und die Gegner des Freitod es ansehen. Ambivalenz und Abwägung führt viel eher dazu dazu, dass eine Person verschiedene Perspektiven einnimmt und alternative Lösungen in Betracht zieht. Die Fähigkeit, Ambivalenz zu tolerieren und Unsicherheit zu akzeptieren, kann zu einem flexibleren Denkprozess führen und neue Möglichkeiten eröffnen.

Einerseits …       Andererseits 
Euphorie       Zweifel
Begeisterung        Unsicherheit 
Lust       Ängstlichkeit






Und wenn ich mir , wenn wir uns nun nochmals diese Ausstellung dieser "Einerseits" und "Andererseits" betrachten. ist dies ein Beispiel in dem eine gute Haltung in der Mitte liegt wenn es um Freitod handelt.
Wenn man wirklich den Weg des Freitod gehen will (so meine Überzeugung, nach einer Reihe von Freitodbegleitungen und vielen Suizidpräventionen und was ich zur Suizidprävention lernte) ...
  • ist man nicht euphorisch zu sterben, hat aber auch keine Zweifel mehr
  • verspürt keine Begeisterung aus dem Leben zu gehen, hat aber auch keine Unsicherheit mehr
  • hat keine Lust auf das Tod sein, ist aber auch nicht ängstlich vor dem Tod.











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