Freiverantwortlichkeit - Einsichtsfähigkeit, Urteilsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit

Wenn es um Entscheidungen und Verfügung geht, kommt der Autonomie der Entscheidung und der Freiverantwortlichkeit, in meinen Augen und meinem Verständnis, die größte Bedeutung zu. Darauf möchte ich im heutige Artikel eingehen. Da ich weder Jurist noch Psychologe bin gehe ich das Thema und die Problematik mit meinem Verständnis von Ethik, Moral und Logik an.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil / Urteilsbegründung betont, dass die Freiverantwortlichkeit für einen Sterbewunsch und einen Freitod eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit von Sterbehilfe ist. Und hat hierzu 5 Aspekte genannt.

  1. Die frei und unbeeinflusste Fähigkeit seinen Willen zu bilden und nach dieser Einsicht zu handeln
  2. Diesen Willen frei von einer akuten psychischen Störung zu bilden
  3. Frei von unzulässiger Einflussnahme oder Druck zu sein
  4. Umfänglich über entscheidungserheblichen Gesichtspunkte und Alternative zu sein und diese bei der Entscheidungsfindung für sich selber abgewogen zu haben
  5. Das der Entschluss eine innere Festigkeit und Dauerhaftigkeit aufweist

Der Begriff Freiverantwortlichkeit findet sich bei und an verschiedenen Stellen unserer Rechtsprechung und in Gesetzestexten. Schaut man sich die oben aufgelisteten 5 Aspekte an erkennt auch der Laie, dass eine  Freiverantwortlichkeit auch fehlen kann, wenn keine psychische Störung vorliegt. Aber auch, was ich unbedingt betonen will, eine Freiverantwortlichkeit kann gegeben sein, auch wenn eine psychische Störung vorhanden ist.

Wer wünscht sich einen Freitod und würdevolles Sterben

Da ich mit Gegnern und Befürwortern der Sterbehilfe zu tun habe, glaube ich, dass es wichtig an dieser Stelle auf die Vielschichtigkeit von Sterbewilligen und leidenden Menschen einzugehen. Gegner der Sterbehilfe aber auch bei Abgeordneten des Bundestags, die als politische Vertreter angesehen wollen als wenn sie die Sterbehilfe erlauben würden aber nicht fordern wollen, aber zum ersten nahezu unüberwindbare Hürden setzen und zum zweiten in der Wortwahl in jedem Fall Worte wie 'würdiges Sterben' oder Freitod nicht nutzen und vermeiden und sehr bewusst Worte wie Euthanasie, Suizid und Selbstmord nutzen und voranstellen - Worte die die das historische Verständnis von Strafbarkeit, einem Gewaltakt und Auslöschen der eigenen Existenz in das Verständnis rücken sollen. Auf diese Wortwahl bin ich in meinem Artikel "Suizid & Freitod - Unterschiedliche Worte, Anlässe und Unterschiedliche Bedeutungen" eingegangen.

Man benötigt keine umfängliche Studien oder psychiatrische Analysen und akademische Standwerke zu studieren um Sterbewille in unterschiedliche Gruppen nach Anlass, Motiven, Entschlussfassung und Art der Durchführung zu unterscheiden.

1. Lebenssattheit

Bei Menschen die von Lebenssattheit sprechen und zum Ausdruck bringen handelt es sich oft um langjährige Mitglieder eines Sterbehilfevereins oder Menschen die sich lange oft seit Jahrzehnten, seit dem dem Erwachsen werden sich intensiv über sich und dem Leben und Sterben Gedanken gemacht haben, fast in allen Fällen sehr bewusst gelebt haben und auch meist Ende 80, Anfang 90 sind. Und  / oder vielleicht schon seit Jahren das Haus nicht mehr verlassen können, die kaum noch etwas sehen, die immobil sind, die isoliert und/oder inkontinent sind und damit einen Würdeverlust täglich durchleben und erdulden müssen. Diese Menschen sagen beispielsweise: ‚Ich habe ein tolles Leben gehabt. Aber jetzt möchte ich nicht mehr. Ich möchte auch nicht in ein Heim.‘ und haben in sich und für sich schlüssige Erläuterungen ihrer Beweggründe und sind voll urteils- und entscheidungsfähig, ohne jegliche Anhaltspunkte für eine Depression oder Ähnliches. Diese Menschen haben sich auch mit den medizinisch-pflegerischen Alternativen auseinandergesetzt. Sie denken und handeln völlig rational, sodass es sich verbietet, dieses Verhalten zu psychiatrisch widerlegen zu wollen. Abgesehen von gewissen Glaubensgruppen und grundsätzlicher Gegner eines selbstverantwortlichen Sterbens. (In diesem Kontext, Meine Gedanken zu Antonymie und Gegensätzlichkeit von Lebenssattheit und Lebensmüdigkeit)


2. Unheilbar und terminal erkrankte Menschen

Auch wenn große Fortschritte in der Schmerztherapie, der Palliativmedizin sowie der Hospizpflege gemacht wurde und wird -  und damit zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation der schwer- und schwersterkrankten Menschen an ihrem Lebensende geführt und weiter führen - . Wie hoch der Prozentsatz der Menschen ist, die durch diese Angebote keine hinreichend oder erhoffte Erleichterung der Lebenssituation finden oder diese ablehnen und den Eintritt ihres Todes durch einen assistierten Suizid beschleunigen wollen, ist nicht oder kaum abschätzbar, da einfach zu individuell. 

Wenn es sich nicht um Schmerzpatienten handelt sind dies aber auch die Menschen denen die Wege zu einer Palliativen oder Hospizpflege zwar offenstehen würden, aber wenn kein absehbares natürliches Sterbedatum absehbar ist und in einem für den Pflegeanbieter ermöglichbaren Zeitrahmen liegt - bleibt auch diesen Menschen die Option einer Palliativmedizin sowie der Hospizpflege verschlossen.


3. Austherapierten, therapieresistenten Menschen mit unerträglichen Leidenszuständen

Hier geht es beispielsweise um Menschen und Schicksale die mit stark in die Lebensqualität eingreifende körperlichen oder neurologischer Erkrankungen, oft einhergehend mit schwere, oder auch chronische Schmerzen, leben müssen. Oder auch Menschen mit gravierende psychische Erkrankungen mit andauernd massiver Beeinträchtigung von Lebensqualität und sozialen Bezügen. Für viele Menschen ist deren Leben oft nur noch ein Dasein und Existieren und deshalb oft würdelos oder würdearm.
Sterbewillige aus dieser Gruppe sollten von Fachärzten des zuständigen Fach- und Spezialgebiets daraufhin untersucht und beraten werden, ob alle nach dem Stand der Wissenschaft gebotenen Therapieoptionen und Unterstützungsmöglichkeiten genutzt wurden oder angeboten, dargelegt aber für diese Menschen nicht akzeptierbar oder erträglich sind.


4. Spontansuizide 

Die Gruppe der Menschen, die sich auf teilweise brutale Weise das Leben nehmen, spielen bei den Gegnern und bei der Abgeordnetengruppe des Gesetzentwurfs der Abgeordnetengruppe um Prof. Dr. Lars Castellucci, Ansgar Heveling, Dr. Kirsten Kappert Gonther, Petra Pau, Stephan Pilsinger, Benjamin Strasser, Kathrin Vogler, Katrin Göring-Eckardt, Hermann Gröhe, Hubertus Heil (Peine), Mechthild Heil, Julia Klöckner, Michelle Müntefering, Dr. Rolf Mützenich, und Cem Özdemir,  Claudia Roth (Augsburg), Jens Spahn und weiterer Abgeordneten - zumindestens in den Diskussionen von diesen Abgeordneten und deren Redebeiträgen im Bundestag eine große Rolle und Schwerpunkt , und spielen auch in der gesamtgesellschaftliche Debatte und der gegenwärtigen Debatte eine besondere Rolle ein, weil damit sich das Schreckensszenario gut aufrecht erhalten lässt.
Auch wenn zum einen, es zu vermuten wäre, dass die Freigabe der Sterbehilfe diesen Menschen zu einem sanfteren Tod verhelfen würde und zugleich Gefährdungen Dritter reduziert (z. B. Auto‑, Flugzeug- und Bahnsuizide etc.) könnte - wollen die Gegner eines würdigen Sterben und der Sterbehilfe nicht sehen. Zumal die Entwicklung in den Ländern zeigt, dass die Sterbehilfe oder die Liberalisierung der Tötung auf Verlangen haben, die genannte Erwartung nicht erfüllt hat: Die Liberalisierung der Sterbehilfe NICHT mit einem merklichem Rückgang der Spontansuizide einher geht bzw ging.
Entscheidend für diese Menschen wäre die Verbesserung der Suizidprävention - ein Aspekt welches die Gruppe die als Slogan hat 'Ermöglichen aber nicht fördern' in keiner Weise dargelegt hat noch bis dato öffentlich publiziert hat. 


Abschließender Gedanke

In der Kontroverse und Konflikt zwischen Selbstbestimmung, staatlichen Schutzaufgaben und ärztlichen und persönlich, ethisch, moralischen Leitbild - bieten die zum Anfang aufgelisteten 5 Aspekte einen gut geeigneten Rahmen - führt aber auch zu einer intensiven Auseinandersetzung und Dialog aller Beteiligten - bei den ich die Gesellschaft, Ärzteverbände und Gesetzgeber sehe und dabei die Menschenwürde über persönliche und christliche oder anderen dogmatischen Weltanschauungen hinwegzusehen.

In der Debatte und der Suche nach einer gesetzliche Regulierung der Sterbehilfe sagten und betonten alle Vertreter des Deutsche Ethikrat die Bedeutung des freien Willens und der freiverantwortlichen Entscheidung. Selbstbestimmt und „Freiverantwortlich - das sind die Kernbegriffe und sollten die Leitgedanken sein in dieser Debatte.


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Comments

  1. Kommentare werden auch wenn ich keine veröffentliche, von mir gelesen und nach Möglichkeit beantwortet.

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