Wider dem Grundgesetz, Wider dem BVerfG & Wider der Würde

„Ärztliche Sterbehilfe ist ein Akt der Humanität und kein Verbrechen. Er hilft Schwerstkranken in Not“ – so äußerte sich der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Vor mehr als zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt – weil es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletze.
Seit dem wurden im Bundestag drei fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe erarbeitet und beraten. Worin sie sich grundsätzlich unterscheiden habe ich schon mehrfach berichtet.

Der menschlichste Entwurf kommt aus einer Abgeordnetengruppe von Katrin Helling-Plahr (rechtspolitische Sprecherin der FDP), Helge Lindh (SPD), Petra Sitte (Linke) dieser Entwurf wird von 69 Abgeordneten gezeichnet, davon unter anderem 44 der FDP und 15 der SPD, darunter als Minister Karl Lauterbach.

Auch der Entwurf von Renate Künast und weiteren Abgeordneten fokussiert Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Der Vorschlag hat zurzeit 49 Unterzeichner, und zwar 29 von den Grünen und 20 von der SPD. Doch anders als dieser von den Grünen dominierte Vorschlag sieht der Entwurf von Helling-Plahr u.a. keinerlei Sanktionen vor, also auch keine Ordnungswidrigkeiten, Werbe- oder Informationsverbote oder Einschränkungen für Suizidhilfevereine.    

Der Entwurf mit den meisten Unterzeichnern hat 111 Abgeordnete hinter sich und ist ein sehr restriktiver Strafrechtsentwurf - der mir nur Angst macht da er jeden Leidenden, Angehörige und Helfer sehr schnell mit dem Straf- und Berufsrecht in Konflikt oder in Haft bringen wird - schon bei der Informationsverteilung und organisatorischen Hilfe.


Ein Gesetzentwurf wider der Menschenwürde

Nach einem Vortrag und Diskussion mit und durch Prof. Dr. Bernd Hecker gestern am 24.Januar 2023 - TOD UND STERBEN: ZWISCHEN KULTURELLER ERINNERUNG UND AKTUELLEN KONFLIKTEN - Teil III: Ein Blick in die Zukunft: Selbstbestimmtes Sterben und Suizidassistenz an der Uni Tübingen - Organisation: Prof. Dr. Franz-Josef Bormann MA, Prof. Dr. Joachim H. Schneider MA - wurde mir noch klarer wie dunkel die Zukunft für Leidende Menschen werden wird und wie wenig ein würdiges Lebensende und Sterben sein wird, wenn der Gesetzentwurf durch kommt, der aus der Feder von Politikern wie Dr. Lars Castellucci, Ansgar Heveling, Dr. Kirsten Kappert Gonther, Petra Pau, Stephan Pilsinger, Benjamin Strasser, Kathrin Vogler, Katrin Göring-Eckardt, Hermann Gröhe, Hubertus Heil (Peine), Mechthild Heil, Julia Klöckner, Michelle Müntefering, Dr. Rolf Mützenich, und Cem Özdemir,  Claudia Roth (Augsburg), Dr. Wolfang Schäuble, Jens Spahn und weiterer Abgeordneten kommt.

Dieser Gesetzentwurf (Drucksache 20/904 - 07.03.2022) mit den Entwurfsparagraphen §217 StGB und §217a StGB wird nahezu jegliche Hilfe und auch Information zur Sterbehilfe strafbar machen.
Dieser Gesetzentwurf wird damit auch die Palliative Versorgung und Hospizpflege einschränken - auch wenn ein Mensch den Wunsch hat, zum Beispiel gedenkt Sterbefasten durchzuführen, und dabei Hilfe beansprucht und annimmt werden Helfer strafrechtlich bestraft werden können.
Auch die therapeutische Versorgung bei starken und stärksten Schmerzen wird eingeschränkt werden, da Ärzte und Pfleger Gefahr laufen sich strafbar zu machen.

Dies kann kein Versehen gewesen sein, bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs, da es selbst für mich als Laie sehr offensichtlich ist - und Rechtsexperten sich auch schon dazu geäußert haben und davor gewarnt und hingewiesen haben.

Der Gesetzentwurf definiert einen sehr restriktive 'Hürdenlauf" mit vielen Fallstricken für Ärzte, Angehörigen und Helfern. Bei jedem Schritt kann jeder der Beteiligten sich strafbar machen. 

Zentrale Aussagen des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020:

Die zentralen Aussage beim Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Urteil zur Sterbehilfe im Februar 2020, bezüglich dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben war, dass …

  • das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Grundgesetz als Ausdruck der persönlichen Autonomie auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst.
  • das Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck personaler Freiheit nicht auf fremddefinierter Situationen beschränkt ist oder werden darf. Welche den innersten Bereich individueller Selbstbestimmung berührende Verfügungsrecht über das eigene Leben ist insbesondere nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt ist.
  • eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus liefe, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd wäre.
  • die Verwurzelung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in der Menschenwürdegarantie impliziert, dass die eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende keiner weiteren Begründungen oder Rechtfertigungen bedarf.
Weitere zentrale Aussagen des BVerfGerichts betrafen den Respekt vor dem Willen des Suizidwilligen ...
  • Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung  von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
  • Maßgebend ist allein der Wille des Grundrechtsträgers, der sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang des Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit entzieht.
  • Die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende gehört zum "ureigensten Bereich der Persönlichkeit" des Menschen, in dem er frei ist, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu entscheiden.
Zentrale Aussagen des BVerfGerichts bezüglich der Rechte der Suizidhelfern
  • Die Freiheit sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Fritten um Hilfe zu bitten und zu suchen. Und solche Hilfen auch in Anspruch zu nehmen.
  • Ärzte und Sterbehelfende müssen deren Bereitschaft zur Hilfe auch rechtlich umsetzen dürfen. Anderenfalls liefe das Recht des Einzelnen auf Selbsttötung faktisch ins Leere.
  • Der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiert damit auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns des Sterbehelfenden.

Alle der vorgenannten zentralen Aussagen des BVerfGerichts  werden durch den neuen Gesetzentwurf ausgehebelt oder generell unter Strafe gestellt ...

... wie Dr. Lars Castellucci, Ansgar Heveling, Dr. Kirsten Kappert Gonther, Petra Pau, Stephan Pilsinger, Benjamin Strasser, Kathrin Vogler, Katrin Göring-Eckardt, Hermann Gröhe, Hubertus Heil (Peine), Mechthild Heil, Julia Klöckner, Michelle Müntefering, Dr. Rolf Mützenich, und Cem Özdemir,  Claudia Roth (Augsburg), Dr. Wolfang Schäuble, Jens Spahn und weiterer Abgeordneten fordern.

Dies will ich nachfolgend erläutern:

§217 Abs,1 StGB-E: "Wer ... diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft" sprich alleine die mehr als einmalige Bereitschaft, und damit ist die reine Bereitschaft zu Hilfe ob ideeller, faktischen, informeller, formeller, informativer oder realer Hilfe strafbar. Der neue §217 Abs,1 StGB setzt damit vorbereitende Handlungen mit vollendete Taten gleich - damit wird der Helfer eines Sterbewilligen strafrechtlich strenger behandelt als jemand der eine versuchte Beihilfe zum Mord begeht, da eine solche versuchte Beihilfe zum Mord straffrei ist nach §30 Abs.1 StGB.  
Die Strafbarkeit geht aber noch weiter. Das Gewähren, Verschaffen und Vermitteln schließt auch schon die Organisation und Hilfe zur Reise eines Sterbewilligen zum Beispiel in die Schweiz mit ein, da die dortigen Helfer nach dem dann in Deutschland gelten neuen Recht geschäftsmäßig handeln, ist für jeden Helfenden in Deutschland die Informationsbeschaffung, Organisation, Anreisehilfe strafbar.

Durch diesen Gesetzentwurf wird es schon zu strafbaren Risiken, Situationen und Handlungen vor der Tatvollendung kommen.
Insbesondere Helfer und Ärzte werden sehr schnell in ein rechtswidriges Verhalten und Situation kommen oder gar einem Verstoß - Stichwort "Gewährung der Gelegenheit zur Selbsttötung durch Überlassen einer Morphinpumpe" oder "Gewährung der Gelegenheit zur Selbsttötung durch Hilfe beim Sterbefasten".


Zusammenfassend ist es so, dass dieser Gesetzentwurf massiv in Grundrechte eingreift. Und kaum bewältigbare Hürden schafft.

  • Suche nach einem Fachpsychiater (sonst macht sich Helfer und Arzt strafbar weil dem Psychiater Fachkompetenzen oder Berufserfahrung fehlen)
  • Terminproblematik (Termine überhaupt zu bekommen und Fristen einzuhalten - strafbar für Arzt, Angehörige und Helfer)
  • Beratungsstellensuche (Erreichbarkeit, Termine und Fristen)
  • Suche nach rezeptausstellenden Arzt und Sterbehelfer
  • Wartefristen und Verfallfristen mit dem Risiko sich strafbar zu machen und oder den Prozess komplett von neuem beginnen zu müssen.

Die Hürden

  • Erste fachpsychiatrische Untersuchung
  • Mindestens eine Pflichtberatung nach Maßgaben des untersuchenden Facharztes bei einem weiteren Arzt, Psychotherapeuten oder einer Beratungsstelle (punktgenau definierte Aufklärungspflicht)
  • Zweite psychiatrische Untersuchung im Abstand von drei Monaten zur ersten Untersuchung (nur in "begründeten Ausnahmefällen" keine zweite Untersuchung erforderlich)
  • Vorbereitende sterbehelfende Schritte durch Dritte
  • Verschreibung der / des Suizidmedikaments durch einen weiteren / anderen Arzt notwendig. Dies erfordert eine erneute Freiverantwortlichkeitsbegutachtung durch den Arzt.
  • Wartezeit von mindestens 2 Wochen zwischen der letzten psychiatrischen Untersuchung und der Sterbehilfe.
  • Die Suizidhilfe darf höchstens zwei Monate nach der letzten psychiatrischen Untersuchung erfolgen - Nach Ablauf dieser zwei monatigen Verfallsfrist ist der legale Zugang zu Sterbehilfe versperrt und mit mit Strafgesetz bedroht und kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.

"Schöne Neue Welt!" die uns die oben genannten Abgeordneten bereiten.wollen.



Mein Schlussgedanke ist der selbe, den der  Präsidenten des BVerfGerichts in seiner einführenden Erklärung zur Urteilsverkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 sagte, ...

“... Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren …”







Frühere Artikel:

Sterbehilfe - Gesetzesentwürfe verschiedener Parteien   January 27, 2022

Debatten zu den Gesetzentwürfen


Abschließender Hinweis:

Es ist gut zu wissen, dass bereits zur Sicherung der Grundrechte, Anträge auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes erarbeitet werden - Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.



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