Buchrezension: Rutger Bregman – Im Grunde gut

Es gibt Bücher, die den Blick auf die Welt verändern – oder etwas in uns berühren, an das wir immer schon geglaubt haben, ohne es je wirklich belegen zu können.

Für mich ist Im Grunde gut von Rutger Bregman genau so ein Buch. Einer dieser seltenen Texte, oder sage ich mal lieber Bausteine, oder Ankerpunkte, der das Vertrauen in den eigenen inneren Kompass stärkt.
Ich erinnere mich gut an einen Moment, als ein Kollege kürzlich sagte: „Du bist schon sehr naiv.“ Vielleicht – dachte ich – aber was, wenn es nicht Naivität, sondern Hoffnung ist?!

Ich empfinde Dankbarkeit für dieses Buch, Hörbuch, ich lese gerne, aber auch dieses Buch habe ich mir wieder einmal als Hörbuch besorgt.
Ich habe das Buch von einer Kollegin, in eher beruflichen Kontext empfohlen bekommen, aber da ich eh denke Job und Leben muss oder sollte bestenfalls verschmelzen - um so schöner.
Ich bin auch Dankbar da nun meine innere Haltung durch Geschichte und Forschung gestützt zu fühlen.


Ein Buch, dass das Menschenbild ins Wanken bringt könnte, bestätigen könnte ...

Bregmans Buch öffnet Perspektiven, beleuchtet bekannte wie neue Quellen und rückt scheinbar feststehende Wahrheiten in ein anderes Licht. Es ist ein kraftvolles, klug argumentierendes und überraschend optimistisches Plädoyer dafür, dass der Mensch nicht von Natur aus egoistisch und zerstörerisch ist – sondern hilfsbereit, kooperativ und zutiefst sozial.


Der Mensch hinter der Maske der Zivilisation

Was Bregman gelingt, so sehe ich es, so verstehe ich es, ist mehr als ein bloßes Aufräumen mit dem pessimistischen Menschenbild. Mit feiner Beobachtungsgabe, historischem Gespür und wissenschaftlicher Sorgfalt setzt er sich mit zahllosen Beispielen auseinander, die unsere Vorstellung vom „bösen Menschen hinter der dünnen Fassade der Zivilisation“ widerlegen.

  • Ob es die widerlegte Geschichte der Osterinsel ist,
  • das Verhalten der Menschen nach dem Hurrikan Katrina
  • oder archäologische Funde aus der Vorzeit
... immer wieder zeigt sich: Menschen helfen einander weit häufiger, als sie einander schaden.

Besonders eindrücklich ist, wie Bregman aufzeigt, dass viele berühmte sozialpsychologische Experimente – wie das Stanford-Prison-Experiment – methodisch fragwürdig oder sogar manipuliert waren. Sie haben unser Bild vom „inneren Monster“ des Menschen geprägt, obwohl sie bei genauerer Betrachtung mehr über die Forscher aussagen als über die Versuchspersonen. Das tut gut zu lesen – gerade in einer Zeit, in der viele Menschen ein verzerrtes Bild von sich selbst und anderen verinnerlicht haben: Dass man immer auf der Hut sein müsse, dass man enttäuscht werde, wenn man sich auf andere verlässt.

Doch Im Grunde gut ist kein naiver Aufruf zum Kuschelkurs. Bregman blendet das Böse nicht aus. Im Gegenteil: Er nimmt es ernst, analysiert es tiefgründig und zeigt, dass Grausamkeit meist aus Gruppendruck, Ideologie und systematischer Entmenschlichung entsteht – nicht aus einem inneren Trieb. Die Stärke seines Ansatzes liegt darin, dass er das Gute im Menschen nicht verklärt, sondern als Ausgangspunkt für Verantwortung begreift:
Wer davon ausgeht, dass Menschen im Kern gut sind, handelt auch entsprechend – und schafft so eine andere Realität.


Blick in Richtung Politik und Weltgeschehen

Diese Perspektive gewinnt besondere Bedeutung, wenn man den Blick in Richtung Politik richtet. Bregman beschreibt, wie gefährlich es ist, wenn Menschenfeindlichkeit zur Norm gemacht wird – wenn ganze Gesellschaften durch Misstrauen, Angst und autoritäre Narrative gelenkt werden.
Die Rhetorik eines Donald Trump, und seiner Gefolgsleute, in den USA, die in der aktuellen Welt, bei allen Krisen, und den Extremen in den wir leben, in offenen Rassismus und Verschwörungsdenken münden, es zeigt eindrücklich, wie schnell sich Misstrauen in Hass verwandeln kann, wenn das Menschenbild dahinter vom Schlechtesten ausgeht.

Wer den Menschen grundsätzlich für egoistisch und gefährlich hält, legitimiert Überwachung, Gewalt und Ausgrenzung als notwendige Kontrolle – ein Gedankengang, der sich in autoritären Bewegungen weltweit beobachten lässt. Auch in Deutschland erleben wir mit wachsender Sorge, wie die AfD ein zutiefst zynisches Menschenbild propagiert: ein Bild, in dem nur „die Eigenen“ zählen und alle anderen verdächtig oder entbehrlich erscheinen.
Diese Ideologie lebt von Angst, von Abgrenzung und von der Vorstellung, dass wir ohne harte Hand ins Chaos stürzen würden.
Genau hier setzt Bregmans Buch ein wichtiges Gegengewicht: Es zeigt, dass Vertrauen und Zusammenarbeit nicht naiv sind – sondern unsere evolutionäre Stärke.


Eine Gesellschaft des Vertrauens ist möglich

Am Ende steht Bregmans Buch für eine Haltung, die wir heute dringender brauchen denn je:
Hoffnung ohne Illusion.

Es ist kein naives „Alles wird gut“, sondern ein realistischer Optimismus, der sich auf historische Erkenntnisse und menschliche Erfahrungen stützt.
Der Mensch ist nicht perfekt – aber er ist besser, als wir denken. Und das ist eine Nachricht, die Mut macht.
Denn wenn wir einander mehr zutrauen, entsteht eine Gesellschaft, in der Mitgefühl, Vertrauen und Zusammenhalt nicht Ausnahme, sondern Regel sind.

Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft von Im Grunde gut: Dass wir die Welt verändern können, indem wir einander mit Wohlwollen begegnen – und uns nicht von Zynismus oder Angst regieren lassen. Wer das versteht, kann nicht nur sich selbst, sondern auch das Miteinander ein kleines Stück heiler machen. Und das ist, bei aller gebotenen Wachsamkeit, doch ein ziemlich schöner Gedanke.

Wir brauchen ein neues Menschenbild. Ein realistisches – und ein hoffnungsvolles. Die meisten Menschen sind im Grunde gut. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Menschlichkeit.


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Finaler Hinweis - auch wenn es von meiner eigentlichen Buchempfehlung ablenkt ..

In seinem neuesten Buch The School for Moral Ambition , von dem ich nur gelesen aber nicht gelesen habe,  soll Rutger Bregman den Gedanken aus 'Im Grunde gut' weiterführen – und soll aus dem optimistischen Menschenbild eine konkrete Handlungsaufforderung machen. Ich bin gespannt und werde berichten. Moral Ambition: How to Find Your Purpose







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