Würde im Leben – Würde im Sterben: Warum Selbstbestimmung bis zuletzt zählt

„Jedem Tag Leben geben“ – dieser Leitsatz begleitet viele von uns in der hospizlichen und palliativen Arbeit. Er richtet den Blick nicht auf das Ende, sondern auf das Leben, das bis zum letzten Atemzug gelebt werden will – mit Würde, mit Fürsorge, mit Selbstbestimmung.

In ihrem eindrücklichen Artikel »Unheilbar krank: Wie kann man würdevoll sterben?« (Spektrum, August 2025) beschreibt die Ärztin Marisa Kurz, wie schwerkranke Men
schen durch palliative Begleitung ein Sterben in Würde erfahren können – oder eben auch nicht, wenn Strukturen fehlen. Sie erzählt von einer alten Dame, die anonym, einsam und hektisch in einer Notaufnahme verstarb. Und sie stellt eine Frage, die uns alle etwas angeht: Wie wollen wir sterben?


Die meisten wollen zu Hause sterben – die wenigsten können es

Die meisten Menschen äußern den Wunsch, im eigenen Zuhause zu sterben – begleitet, schmerzfrei, in vertrauter Umgebung. Doch die Realität sieht oft anders aus: Krankenhausflure, grelle Beleuchtung, technische Apparate – und viel zu wenig Zeit für Gespräche, für Nähe, für das, was eigentlich zählt.

Würde am Lebensende ist kein Luxus, sie ist ein Menschenrecht. Doch sie muss ermöglicht werden – durch Strukturen, durch Aufklärung, durch medizinische und pflegerische Kompetenz und vor allem durch Zeit und Zuwendung.


Selbstbestimmung im Leben und Sterben

Der öffentliche Diskurs zum Thema würdiges Sterben kreist oft schnell um Sterbehilfe. Doch Selbstbestimmung ist viel mehr als die Entscheidung, „ob“ man sterben will – es geht darum, wie man leben will, wenn das Lebensende näher rückt. Welche Maßnahmen möchte ich noch? Welche lehne ich ab? Wer spricht für mich, wenn ich selbst nicht mehr kann?

Viel zu selten werden diese Fragen frühzeitig besprochen – mit dem Hausarzt, mit den Angehörigen, mit Palliativteams. Dabei sind es genau diese Gespräche, die Sicherheit geben können – und einen würdevollen Umgang mit dem Sterben überhaupt erst ermöglichen.


Palliative Versorgung – eine Medizin, die zuhört

Die Palliativmedizin stellt nicht den Krebs, das Organversagen oder die Tumormarker in den Mittelpunkt – sondern den Menschen. Es geht um das, was jetzt zählt: Schmerzfreiheit, Symptomkontrolle, Nähe, Ruhe, Gespräche. Und es geht darum, belastende Maßnahmen zu vermeiden, wenn sie keinen Nutzen mehr bringen – das ist nicht Aufgeben, sondern respektvolle Fürsorge.

Ein würdevolles Sterben braucht also nicht nur Schmerzmittel, sondern auch offene Ohren, erfahrene Hände und wache Herzen. Die palliative Haltung fragt nicht nur: „Was können wir noch tun?“, sondern: „Was ist dem Menschen jetzt wichtig?“ (Frühere Artikel zur Palliativversorgung)


Würde ist mehr als Abwesenheit von Leid

Würde bedeutet nicht nur, nicht zu leiden. Sie bedeutet: gesehen werden. Gehört werden. Als Mensch anerkannt werden – unabhängig davon, wie krank, schwach oder alt man ist. Und das nicht nur am Lebensende, sondern in allen Phasen des Lebens.

Gerade in unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird oft nur das „aktive Leben“ anerkannt – Erwerbsarbeit, Selbstoptimierung, Produktivität. Doch was ist mit den Phasen der Krankheit, des Alterns, des Abschieds? Auch hier verdient jeder Mensch Respekt, Autonomie und ein Umfeld, das trägt.


Es braucht mehr Aufklärung – und mehr Mut zur Veränderung

Der Artikel von Marisa Kurz zeigt eindrücklich: Es fehlt nicht an Wissen, sondern an Systemen, die dieses Wissen ins Leben übersetzen. Viele Menschen wissen nicht, welche Angebote es gibt. Viele Ärztinnen und Ärzte fühlen sich im Umgang mit Sterben unvorbereitet. Und viele Angehörige sind allein gelassen mit Fragen und Entscheidungen, die eigentlich gemeinsam getragen werden sollten.

Wir brauchen mehr Räume für Gespräche über das Sterben – im Gesundheitssystem, in Schulen, in Familien. Und wir brauchen ein gesellschaftliches Verständnis, dass das Lebensende nicht das Gegenteil von Leben ist – sondern ein Teil davon.


Fazit: Würde darf kein Zufall sein

Ein würdevolles Lebensende sollte kein Privileg für Informierte oder Glückliche sein. Es braucht politische, strukturelle und gesellschaftliche Veränderungen – aber auch den ganz persönlichen Entschluss, sich mit dem eigenen Sterben auseinanderzusetzen.

Denn wie wir leben wollen, sagt viel darüber aus, wie wir sterben wollen.


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