Filmkritik & Gesellschaftskritik: Momo (2025)
Meine Filmkritik & Gesellschaftskritik zur neuen Verfilmung von Momo
Wenn Zeit zur Ware wird – und Menschlichkeit zur Unwirtschaftlichkeit
Die neue Verfilmung von Momo bringt Michael Endes zeitlose Geschichte mit eindrucksvoller Bildsprache und spürbarem Engagement in die Gegenwart. Ein Buch, das mir immer schon viel bedeutete – und noch immer viel bedeutet.
Im Gegensatz zur Verfilmung von 1986 ist das Setting modernisiert, die Symbole sind neu kontextualisiert – und die zentrale Botschaft, so finde ich, tritt heute sogar noch klarer hervor: Es geht um Zeit. Um Menschlichkeit. Und um den stillen Widerstand gegen ein System, das beides entwertet.
Momo lebt, wie bei Ende, am Rand der Gesellschaft – hier in den Ruinen eines alten Amphitheaters, das wie ein Denkmal vergangener Lebendigkeit wirkt. Um sie herum: eine Welt, die sich um Effizienz dreht. Ein Konzern verspricht durch technische Armbänder „mehr Zeit“ – eine scheinbare Innovation, die sich schnell als Falle entpuppt. Zeit wird rationalisiert, Beziehungen verkümmern, die Menschen funktionieren nur noch.
Diese Adaption überzeugt mich besonders darin, wie Endes Kritik am industriellen Zeitverständnis ins digitale Zeitalter übersetzt wird: Burnout, Dauererreichbarkeit, Social-Media-Perfektionismus – all das fließt spürbar in die Erzählung ein. Visuell lebt der Film von Kontrasten: warme, natürliche Töne in Momos Welt treffen auf kalte, sterile Architektur (*1) in der Welt der „Grauen Männer“. Ein Design, das ganz in meine eigene Bilderwelt passt. Berührend fand ich vor allem, wie oft die Kamera nahe an Gesichtern bleibt, nach echter Regung sucht – als wolle sie dem Entmenschlichten trotzen.
Alexa Goodall verkörpert Momo mit stiller Intensität. Ihre Präsenz lebt vom Zuhören, vom Dasein, vom Blick. Genau darin liegt ihre Kraft. Sie wirkt wie eine Erinnerung an etwas, das wir längst zu verlieren drohen: unverzweckte Nähe, kindliche Intuition, echtes Interesse am Gegenüber.
Die filmischen Allegorien und Metaphern sind kraftvoll – teils pointiert, teils vielleicht überzeichnet: Influencer als leere Hüllen, Technik als Feindbild, Business-Sprache als Symptom gesellschaftlicher Entfremdung. Was bei Ende's Buch leise und poetisch blieb, wird hier lauter, direkter. Doch Angesichts des Abstands zwischen 1973 und 2025 empfinde ich das als legitime, zeitgemäße Adaption.
Ja, ein Teil der Magie des Buches – seine meditative Stille – geht dabei vielleicht verloren. Doch dafür wird die Dringlichkeit der Botschaft heute umso klarer.
Diese Verfilmung stellt Fragen, die in unserer Zeit kaum noch gestellt werden:
Was bedeutet es, wirklich zu leben?
Wem gehört unsere Zeit?
Die Grauen Herren stehen nicht nur für Stress oder Effizienz – sie verkörpern ein System, das alles in Nutzen, alles in Produktivität umrechnet: Gefühle, Freundschaften, Kindheit.
Wer mich aus den Werbeagentur Zeiten noch kennt, erinnert sich gegebenenfalls daran, dass ich Business-Menschen / Schlipsträger, ob mit Hose oder Rock, oft als Graue Männer bezeichnet und angesehen habe.
Momo steht dagegen – nicht kämpferisch, sondern offenherzig.
Momo verteidigt ... Zeit für Sich Selbst haben, Gespräche, Träume.
In einer Zeit, in der das Menschliche oft als „naiv“ oder „woke“ abgetan wird, erinnert Momo uns daran, dass Naivität auch Haltung bedeuten kann – ein Glaube an etwas, das jenseits von Marktlogik, politischer Rhetorik und Selbstoptimierung liegt.
Umso wichtiger in einer Zeit in der, schauen wir auf die Aussagen in den USA, Europa und Deutschland durch rechtsextreme politische Vertreter, die Menschlichkeit, Empathie, das sehe und Anerkennung des anders sein, so geringst schätzen.
Der Film benennt das. Erreicht nicht immer die Tiefe des Originals – aber dass diese Thematik überhaupt ihren Weg ins Kino findet, empfinde ich als einen leisen, aber bedeutungsvoller Schritt.
Vielleicht sogar ein kleiner Sieg für die Erinnerung an Empathie und Menschlichkeit.
Trailer zum Film:
(*1) - Als Architekt und Designer - ein Schlussgedanke:
Sterile Architektur und durchdesignt neutrale Räume, ob im realen Ruam oder virtuellen, sind weit mehr als bloßer Hintergrund – sie prägen unser Denken, Fühlen und Handeln. Wo Räume keine Wärme ausstrahlen, verlieren auch Begegnungen an Tiefe. Wenn Städte, Büros, Schulen und sogar Wohnräume zunehmend auf Effizienz, Kontrolle und Austauschbarkeit getrimmt sind, spiegelt sich darin ein Gesellschaftsbild, das Funktion über Gefühl stellt. Gestaltung wird so zum stillen Erzieher: Sie formt Menschen, die sich einfügen – nicht aufblühen.
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