Organspende nach Sterbehilfe: Ein ethischer Balanceakt zwischen Autonomie und Verantwortung (Diskussion in der Schweiz)
"Die Organspende könnte zum dominierenden Motiv für Suizidhilfe werden",
in dem Psychiater Paul Hoff die ethischen Fragestellungen rund um die Kombination von Sterbehilfe und Organspende thematisiert.
Bereits zuvor habe ich mich in einem eigenen Artikel mit der Thematik auseinandergesetzt. In meinem Beitrag Organspende im Kontext von Sterbehilfe – Ethische und rechtliche Grenzen analysiere ich die rechtlichen Rahmenbedingungen und ethischen Herausforderungen einer Organspende nach einem selbstbestimmten Sterben. Dabei beleuchte ich die medizinischen Hürden, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, den Hirntod vor der Organentnahme festzustellen, was bei einem natürlichen Tod nach einer Freitodhandlung nicht gegeben ist. Zudem diskutiere ich die gesellschaftlichen und politischen Hürden, die einer solchen Praxis entgegenstehen.
In Anbetracht dieser Thematik und den Artikel im Tages-Anzeiger - habe ich den folgenden Gedanken gehabt, um meine persönliche Haltung und Sichtweise zu den ethischen und moralischen Fragestellungen rund um die Kombination von Sterbehilfe und Organspende darzulegen.
Organspende sollte never ever zum dominierenden Motiv für Sterbehilfe werden
In der Schweiz ist sowohl Sterbehilfe als auch Organspende rechtlich erlaubt, doch eine Kombination beider Verfahren – also die Organspende nach begleitetem Freitod – wurde bisher nicht umgesetzt. Andere Länder wie Kanada, die Niederlande, Belgien oder Spanien praktizieren diese Möglichkeit bereits, und die Erfahrungen zeigen, dass sie sowohl Chancen als auch erhebliche ethische Risiken birgt - und ich sehe beide.
Schätzungen zufolge könnten in der Schweiz rund zehn Prozent der Menschen, die sich für einen begleiteten Freitod entscheiden, auch für eine Organspende infrage kommen – das wären etwa 170 Personen pro Jahr, fast eine Verdoppelung der derzeitigen Spendezahlen.
Für mich ist klar: Ich sehe die Zahlen, die Leben retten könnten, Leben zu retten und Menschen die Möglichkeit zu geben, und auch den der Freitodwillligen ihren letzten Wunsch aktiv zu gestalten. Doch weitaus mehr sehe ich die Risiken. Besonders problematisch ist die Gefahr, dass vulnerable, schwache oder psychisch belastete Menschen unter moralischem Druck oder emotionaler Beeinflussung Entscheidungen treffen, die sie ohne diesen äußeren Einfluss vielleicht nicht getroffen hätten. Die Organspende könnte zum Motiv werden und den Freitod beeinflussen – ein Worst-Case-Szenario, das unbedingt vermieden werden muss.
Die Rolle von Kliniken und Krankenhäusern ist dabei entscheidend. Bisher findet Sterbehilfe meist außerhalb medizinischer Einrichtungen statt. Eine unmittelbar anschließende Organspende würde jedoch die enge Einbindung von Ärztinnen und Ärzten erfordern und den begleiteten Freitod stärker in die medizinische Praxis integrieren.
Das bringt nicht nur organisatorische, sondern auch tiefgreifende ethische Fragen mit sich:
Wie lässt sich Autonomie sicherstellen?
Wie schützt man Menschen vor äußeren Einflüssen oder möglichem Missbrauch durch Schutzbefohlene?
Aus ethischer Sicht sehe ich zugleich einen Vorteil: Wer sich bewusst und urteilsfähig für eine Organspende entscheidet, tut dies oft kurz vor dem eigenen Tod – eine sehr klare und freiwillige Form der Entscheidung. Bei allem Positiven und Nutzen muss stets gegen die Risiken für die betroffenen Menschen abgewogen werden.
Insgesamt ist dieses Thema für mich ein Balanceakt zwischen Chancen und Risiken, zwischen ethischer Verantwortung und moralischer Verpflichtung. Gesellschaftliche und Politische Debatten und wissenschaftliche Arbeit könnten helfen, diese Balance zu diskutieren und praktikable, ethisch vertretbare Lösungen zu entwickeln.
Wichtig ist, dass die Autonomie und Selbstbestimmung der Sterbewilligen geschützt werden, während gleichzeitig vulnerablen Menschen wirksamer Schutz geboten wird.
Mein Fazit:
Die Verbindung von Sterbehilfe und Organspende stellt eine der komplexesten Herausforderungen der Ethik und der Medizinethik dar. Sie vereint zwei gegensätzliche Handlungen – das Beenden und das Bewahren von Leben – in einem hochsensiblen moralischen Kontext.
Diese Konstellation erfordert klare ethische Leitlinien, Transparenz in der Entscheidungsfindung und eine kontinuierliche gesellschaftliche Reflexion. Nur durch eine verantwortungsvolle Regulierung und interdisziplinäre Begleitung kann sichergestellt werden, dass Autonomie, Menschenwürde und Fürsorge gleichermaßen gewahrt bleiben. In diesem Spannungsfeld zeigt sich letztlich, wie weit eine Gesellschaft bereit ist, ethische Verantwortung mit menschlicher Empathie zu verbinden.
Gerade in Momenten, in denen Tod und Leben so nah beieinanderliegen, braucht es Respekt, Achtsamkeit und tiefes Mitgefühl für alle Beteiligten. Nur wenn wir den Menschen in seiner Ganzheit sehen – in seiner Freiheit, seiner Verletzlichkeit und seiner Würde – kann aus dieser schwierigen Entscheidung ein Akt echter Menschlichkeit werden.
Quellen:
Link zum Artikel:Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) wurde bei der Revi
sion ihrer Richtlinien «Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbe
reitung der Organentnahme» durch eine Umfrage bei Kliniken, Krankenhäusern / Spitälern darauf aufmerksam, dass diese seit einigen Jahren Anfragen von Personen erhalten, die nach einem assistierten Sterben ihre Organe spenden wollen.
Ich kann aus meinen Gesprächen mit Freitodwilligen dies nur bestätigen, diese Fragen nach dieser Möglichkeit kam mehrfach.
Organspende nach Suizidhilfe Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission der SAMW (2025)

Comments
Post a Comment