Leben und Sterben in Würde – Der Wunsch nach Selbstbestimmung bei schwerer chronischer Krankheit
Der Artikel in der Märkischen Oderzeitung (MOZ) inspirierte mich meinen Artikel zu schweren, fortschreitenden Erkrankungen fertigzustellen.
In einer Gesellschaft, die das Ideal vom aktiven und selbstständigen Leben hochhält, werden Menschen mit schweren, fortschreitenden Erkrankungen wie ME/CFS, Primär Progredienter Multipler Sklerose (PPMS), ALS oder schweren Long-Covid-Verläufen oft übersehen. Diese Krankheiten führen nicht nur zu körperlichem Verfall, sondern auch zur sozialen Isolation, zum Verlust von Autonomie – und in vielen Fällen zum Wunsch, das Leben selbstbestimmt beenden zu dürfen.
Unsichtbares Leiden – kaum erforschte Krankheiten
Trotz zehntausender Betroffener in Deutschland gelten viele dieser Erkrankungen immer noch als „unsichtbar“. Sie sind kaum erforscht, medizinisch unterversorgt und gesellschaftlich nicht anerkannt. Besonders ME/CFS – eine schwere neuroimmunologische Erkrankung – führt bei Betroffenen zu extremer Reizempfindlichkeit, chronischer Erschöpfung und vollständiger Abhängigkeit von Pflege. Auch andere Erkrankungen wie PPMS (Meine Frau litt an PPMS und verlor, trotz größtem Engagement gegen die Krankheit und gegen die Symptome, innerhalb von 11 Jahre alle Eigenständigkeit - von Kerngesund bis zu dem Zustand, dass meine Frau nur die mittlere drei Finger bedingt willentlich nutzen konnte vergingen 11 Jahre) oder ALS ( ich betreute eine einstellige Anzahl Menschen mit Freitodwunsch) bedeuten oft eine konstante Verschlechterung, ohne Aussicht auf Besserung oder Therapie.
Der Fall Marc Kirch
Marc Kirch, 51, lebt mit der schwersten Form von ME/CFS in einem Pflegeheim. Licht, Geräusche, Gespräche – all das verschlechtert seinen Zustand. Er lebt isoliert in Dunkelheit und Stille, nahezu bewegungslos. Da Heilung ausgeschlossen ist und sich sein Zustand über Jahre verschlimmert hat, hat er sich für einen begleiteten Freitod entschieden. Nicht aus Lebensüberdruss, sondern weil ein würdiges Leben für ihn nicht mehr möglich ist. Er kämpft für die Anerkennung seiner Krankheit – auch über seinen Tod hinaus. (Mehr im verlinkten Artikel der MOZ)
Selbstbestimmung statt Lebensverlängerung um jeden Preis
Menschen wie Marc Kirch wollen nicht sterben, weil sie den Tod suchen, sondern weil ihnen das Leben, wie es war, längst genommen wurde. Die Entscheidung zum begleiteten Sterben, einem Freitod, ist nicht leichtfertig – sie ist Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Kontrolle, nach Würde, nach einem letzten Stück Freiheit. Dass in Deutschland seit 2020 der assistierte Sterbehilfe erlaubt ist, ist ein erster Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Doch noch immer ist das Verfahren aufwendig, und viele Betroffene wissen nicht, dass es überhaupt möglich ist.
Gesellschaftliche Verantwortung
Wenn Menschen sich in einem rechtlich geregelten Verfahren für den Tod entscheiden, ist das oft auch ein Spiegel gesellschaftlichen Versagens: fehlende medizinische Versorgung, zu wenig Forschung, mangelndes Verständnis im Umfeld. Chronisch schwer Erkrankte werden oft mit Depressionen verwechselt, ihre Schmerzen bagatellisiert. Viele erfahren Ablehnung, Unverständnis – selbst in Familien, Pflegeeinrichtungen und beim medizinischen Personal.
Das Leid dieser Menschen könnte gemindert werden – mit mehr Wissen, besserer medizinischer Infrastruktur und einem Bewusstsein dafür, dass Krankheit nicht immer sichtbar ist. Der Tod wird zur letzten Option, wenn das Leben zur Qual wird und Hilfe ausbleibt.
Fazit
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben muss auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umfassen. Menschen mit schweren, fortschreitenden Erkrankungen verdienen nicht nur Mitgefühl, sondern echte Unterstützung – medizinisch, rechtlich und menschlich. Marc Kirch steht stellvertretend für viele, deren Stimmen selten gehört werden. Sein letzter Wunsch ist ein Aufruf an Politik und Gesellschaft: Krankheiten wie ME/CFS dürfen nicht länger ignoriert werden. Ich habev erst vor einer Woche von einem bewegenden Podcast zu einem Sterbehilfefall bei ME/CFS berichtet. In dieser intensiven und bewegenden Podcast-Folge berichtet Birte Viermann über die letzte Lebensphase ihrer Schwester Silja, die an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) erkrankt war.
Niemand sollte gezwungen sein, jahrelang im Schatten zu überleben, zu existieren, wenn Würde und Lebensqualität längst verloren sind.
Wer schwer chronisch erkrankt ist, verliert nicht nur körperliche Fähigkeiten – oft droht auch der Verlust von Teilhabe, Würde und Sichtbarkeit. In der medizinischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung zählt häufig nur das Krankheitsbild, nicht der Mensch dahinter.
Doch gerade wenn keine Heilung mehr möglich ist, braucht es mehr als Technik und Therapie:
Es braucht echtes Zuhören, Respekt und das Anerkennen der persönlichen Grenzen und Wünsche.
Erst wenn wir aufhören, ausschließlich die Krankheit zu betrachten, beginnen wir, den Menschen in seiner ganzen Lebensrealität wirklich zu sehen – mit allem Leid, aber auch mit dem Recht auf Selbstbestimmung, Mitgefühl und ein Leben – oder Sterben – in Würde.
Und um einen schnellen Einstieg zu bekommen - Sterbehilfe in Deutschland - Erläutert in 3 bis 4 Minuten (Lesezeit)
Grundlage, Hintergründe und Zahlen
Im Juni, diesen Jahres habe ich bereits eine Zusammenfassung der Zahlen und Ansichten aus der Forsa-Umfrage zur Sterbebegleitung im Auftrag der DGHS (Januar 2025) berichtet - die Forsa-Umfrage aus dem Oktober 2024 mit einer Teilnehmerzahl von 1.203 Personen ...
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83 % glauben fälschlich, assistierte Sterbehilfe sei strafbar.
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Nur 15 % wissen, dass sie seit dem BVerfG-Urteil 2020 legal ist.
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84 %: Zustimmung zur Bereitstellung eines tödlichen Medikaments.
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87 %: Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe durch Ärzte unter Bedingungen.
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93 %: wünschen leicht zugängliche, seriöse Informationen.
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72 %: Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe bei vorheriger schriftlicher Willensbekundung (z. B. Demenz) - Hinweis, aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. (es gibt 4 Formen der Sterbehilfe)
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bei Psychische Erkrankungen sehr geteilte Ansichten und die Befragte sind sich sehr uneins.
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79 %: Sterbehilfe sollte auch in Pflegeeinrichtungen möglich sein
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