Würdig Leben - Gedanken zur Pflegesituation

Nach 11 Jahren häuslicher Pflege für meine Frau aber auch schon davor - ging es mir und geht es mir um die Auseinanderzusetzen, welche soziale Erwartungen eine / unsere Gesellschaft an die Versorgung in Kliniken und Heimen hat oder haben sollte.

Die Pflegesituation und dessen Notstand wird nicht gelindert werden, wenn man sich ausschließlich von politischen und ökonomischen Ideen leiten lässt. Gesellschaftliche und ethische Kategorien wie Nächstenliebe und Fürsorge müssen mindestens gleichrangig berücksichtigt werden.

Dass die Organisation und das System der Pflege von ökonomischem Druck beherrscht wird sowie das auf Professionalisierung und Spezialisierung gesetzt wird ist so konsequent wie nachvollziehbar jedoch wird all zu oft genau durch Ökonomie und Systematisierung wenn ich es höflich formuliere vernachlässigt, bzw. wenn ich es freiheraus formuliere vollkommen vergessen, dass letztlich es einen Menschen braucht der / am Krankenbett arbeitet, füttert, wäscht, Menschliche nähe vermittelt oder Tränen trocknet UND diese Hilfen einem Menschen zukommen soll. Wie oft hat meine Frau gesagt, dass Sie sich nicht wie ein Persönlichkeit und Individuum, ein Mensch behandelt wird - Und als zur Hilfe zum Umsetzen ein sogenannter Patientenlifter vom Bett in den Rollstuhl, vom Rollstuhl auf die Toilette benutzt wurde - sagte meine Frau:"Ich fühle mich wie ein Stück Fleisch am Fleischhaken - ganz so wie in einer Schlachterei."

Ohne menschliche Nähe werden Bedürfnisse der Menschen ignoriert. Eine Gesellschaft, die Zuwendung an Andere und von Anderen nicht ermöglicht, ist unmenschlich in meinen Augen.

Der Pflegenotstand in so vielen Ländern verschlimmt sich immer rascher und extremer. Da immer mehr Pflegebedürftige auf der einen Seite immer weniger Personal gegenüber steht, sitzt und liegt. Zwei Faktoren haben zu dieser Situation und Not geführt - zum Einen ist dies der demografischen Wandel (mehr Ältere gegenüber Jüngeren) und zum Anderen der medizinischen Fortschritt (die Lebenserwartung / die Jahre des Existieren verlängt sich). Eine weitere Verschlimmerung sehe ich darin dass der Beruf der Pflegekräfte, und da hat das Klatschen und Applaudieren wärend der ersten Monate in der Coronakrise nichts geändert, zunehmend unattraktiv geworden ist - Gesellschaftliche Anerkennung und Ansehen, Arbeitsbedingungen und die Bezahlung.

Mein schon klassisches Beispiel, welches ich Außenstehenden während der Jahre der Pflege meiner Ehefrau nannte, war das der Körperpflege - welches meine Frau und ich immer als einen der wichtigsten Faktor der Würde und Selbstwahrnehmung empfanden und ich immer noch so empfinde.

Ein wesentliches Problem in der Pflege ist, dass einzelne Leistungspakete existieren - wie oben gesagt bürokratisch und ökonomisch verständlich aber nehmen wir nun die Leistung Ganzkörperwäsche - dann lohnt sich für den Pflegedienste diese Leistung nur wenn die Pflegekraft diese Leistungen in einer bestimmten Zeit erfüllt. Für eine Ganzkörperwäsche sind beispielsweise oft nur 20 Minuten angesetzt, für das Auskleiden UND Ankleiden sieben bis neun Minuten, und für das Kämmen der Haare ein bis drei Minuten. Nun stellen Sie sich vor, sie haben es mit einem recht oder völlig immobilen Rollstuhlfahrer zu tun. Wie läuft das wohl ab? Darum habe ich immer meine Frau gewaschen und ihr die Zeit gegeben sich soweit es irgend geht sich selber zu waschen - spätestens an den intimen Stellen eines Menschens. Jetzt bedenken Sie es würde eine Pflegekraft machen unter Zeitdruck - und sowohl die Pflegekraft als auch der Zupflegende hat mal schlechte Tage , oder ist noch oder schon müde, immobiler als sonst - und die Uhr tickt.

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Und nun schauen Sie sich einmal bei Banken und bei Investment Firmen um. Sehr schnell werden Sie Investmentangebote für Pflegeimmobilien, Pflegeinstitutionen und -einrichtungen, Kliniken etc finden die Renditen von 4 - 10% p.a. bei Laufzeiten von 1-3 Jahre anbieten / versprechen. Ja das eine sind das Angebot und das Versprechen aber selber wenn es die Hälfte oder dreiviertel Rendite ist. Wer 'zahlt' dafür? Die Antwort ist einfach, die Qualität und Menschenwürde zahlt dafür, die Pflegekräfte zahlen dafür und die Zupflegenden durch hohe Eigenanteile für die Pflege und die Alten, Kranken, die eh schon vom Leben gebeutelten Menschen zahlen mit deren Würde.

Wie oben gesagt, Pflegeheime sind für Spekulanten und viele die sich keine Gedanken machen gefragte Anlageobjekte teilweise mit Steigerungen des Investments mit mehr als 250% pro Jahr. Große Portfoliokäufe von ausländischen Investoren, insbesondere aus Frankreich, Benelux Staaten und China, sorgten für diesen Rekordwert. Bemerkenswert dabei ist, dass Immobilien-Investoren wie etwa die Deutsche Wohnen ihr Geld nicht nur in die Gebäude, sondern zunehmend auch in das Betreibergeschäft stecken. Für mich ein klarer Beleg dafür, dass man mit der Pflege Gewinne verdienen will.

Ich denke jeder kennt das Sprichwort: „Wo Profite zu erwarten sind, sind Heuschrecken nicht weit“, und dies trifft traurigerweise auf den Pflegebereich vollumfänglich zu.

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Ohne Menschlichkeit geht nichts. Ich sehe und erwarte Menschlichkeit in alle Tätigkeiten der Betreuung und Pflege des Lebendigen, egal ob bezahlt oder nicht. Eine Gesellschaft, die Zuwendung an Menschen und von Menschen nicht ermöglicht, ist unmenschlich

Ich denke Pflegetätigkeiten lassen sich nur bedingt professionalisieren. Und wir sollten dies auch nur bedingt wollen. Würde und Menschlichkeit fügt sich nicht den Formen und Normen der strategischen Machbarkeit und Verfügbarkeit. Das weinende Kind im Kindergarten, der einsame alte Mensch in der Nachbarschaft der einfach nur ein bisschen reden will, die verunsicherte Patientin, der behinderte, kranke, oder alte Mensch dem die Augen tränen, die Nase läuft oder heute ein wenig mehr Zeit beim Essen oder bei der Körperpflege braucht.

Würde, Menschlichkeit, Nächstenliebe und Fürsorge sind ebenso wie eine Ethik des Dienens schon immer Leitgedanken der Pflege für mich.

Dass die Pflege in einem Gesundheitssystem, das von bürokratischem und ökonomischem Druck beherrscht wird und das auf Professionalisierung und Spezialisierung setzt, nach Akademisierung strebt, ist konsequent. Doch am Ende braucht es Menschen, die am Krankenbett arbeiten, die füttern, waschen, Pflaster wechseln und Tränen trocknen.

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Wenn wir nun nochmals uns an den demografischen Wandel und zum anderen an den medizinischen Fortschritt und die höhere Lebenserwartung erinnern - sowie uns die Spekulanten und Heuschrecken des Kapitalmarkt vor Augen halten - es geht um eine bessere Finanzierung. Um Pflegekräfte angemessen zu bezahlen und menschwürdige Pflege uns leisten zu können. Viele befürchten, dass der Eigenanteil, den Pflegebedürftige oder Angehörige zuzahlen müssen, weiter ansteigt - und monatlich Eigenanteil von deutlichen vierstelligen Beträgen werden sich die meisten nicht leisten können.

Dabei gibt es für mich, und ich bin kein Wirtschaft- oder Finanzexperte, zwei zentrale Optionen, um die Pflege zu finanzieren. Zum einen kann der Beitrag zur Pflegeversicherung frühzeitig erhöht werden. Dabei folge ich auch als Kinderloser Mann den Überlegungen von einigen Politikern und Wissenschaftlern, dass der Beitrag von Kinderlosen steigen muss. Stärker in die Pflicht genommen werden müssten ebenfalls Beamte und auch die Privatversicherten.

Die zweite Option ist der Steuerzuschuss. Das sind Mittel vom Bund, die letztendlich vom Steuerzahler stammen. Die Kosten für die Pflege wird so auf die Gesellschaft umgelegt und die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen werden entlastet.

Wir müssen die digitalen Möglichkeiten ausschöpfen um Planung, Dokumentation, Medikamentenmanagement und auch die Kommunikation zwischen Pflegekräften, Therapeuten und Ärzten zu optimieren und zu erleichtern und so den Zeitdruck zu verringern.

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Final möchte ich erwähnen, dass ich denke, dass Kliniken, Pflegeeinrichtungen keine Investitionsobjekte sein dürfen - es sollte in der Pflege nicht um Gewinnerzielung gehen.

Pflege sollte meines Erachtens gemeinnützig sein - Erzielte Gewinne, die aus der Pflege- und Betreuungstätigkeit entstehen, sollten ausschließlich und unmittelbar zweckgewidmet reinvestiert werden und wieder für die Pflege, die Betreuung und die Verbesserung der Infrastruktur sowie die Qualität der Pflegeeinrichtungen und der Pflegeangebote zu Gute kommen.

„Wo Menschenwürde berührt ist, zählen keine wirtschaftlichen Argumente.“
Johannes Rau

Ich bin zutiefst davon überzeugt , dass das Fundament jeder wahren Verantwortung und damit der höchsten Form von Menschenwürde ist und bleibt, sich darüber bewusst zu sein und sich klar zu werden, was das, was man tut, wirklich bedeutet und für andere Menschen bedeutet und welche Gesellschaft wir formen und haben wollen.


 






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