„Ich habe beschlossen zu sterben“ – Joseph Awuah-Darko und die Debatte um Sterbehilfe bei psychischen Leiden

Ich schreibe diesen Artikel heute  – nur wenige Tage nach dem ursprünglich angekündigten Sterbedatum des britisch-ghanaischen Künstlers Joseph Awuah-Darko.

Der 30. Juli sollte für ihn der Tag des freiwillig gewählten Todes sein. Er plante, in den Niederlanden mithilfe der dort legalen aktiven Sterbehilfe aus dem Leben zu scheiden – wegen einer therapieresistenten bipolaren Störung. Doch dieser Tag kam – und verging – ohne den angekündigten Abschied.

Was bleibt, ist ein Projekt, das weltweit für Aufmerksamkeit, Berührung und auch Kontroverse sorgte: das Last Supper Project – eine dokumentierte Dinner-Tour durch die Wohnzimmer und Küchen fremder Menschen, die ihn zu einem letzten gemeinsamen Essen einluden. Was als Sterbebegleitung gedacht war, wurde zur Lebensreise.


Zwischen Kunst, Krise und Kontroverse

Awuah-Darko kündigte seinen Sterbewunsch nicht still oder im Privaten an, sondern öffentlich – über Instagram. In wenigen Wochen wurde er zur viralen Figur. Tausende Menschen verfolgten seine Gespräche, teilten ihre eigenen Geschichten, boten ihm Nähe, Austausch, Trost.

Für manche war das ein berührender Akt der Offenheit, ein kreativer Umgang mit einem Tabuthema. Andere wiederum warfen ihm vor, seinen Tod zu inszenieren, Aufmerksamkeit zu kapitalisieren – und damit besonders vulnerable Menschen zu gefährden. Kritik kam auch aus der Kunstszene, etwa wegen offener finanzieller Forderungen von Künstler*innen aus seiner früheren Residency in Ghana.

Besonders heikel: Bis heute ist nicht belegt, dass Awuah-Darko je einen offiziellen Antrag auf Sterbehilfe in den Niederlanden eingereicht hat. Ebenso fehlen Hinweise auf aktuelle psychiatrische Behandlungen. Das wirft Fragen auf – und zur Grenze zwischen performativer Kunst und realem Leid.


Wie funktioniert Sterbehilfe in den Niederlanden?

Die Niederlande gehören zu wenigen Ländern weltweit, in denen aktive Sterbehilfe erlaubt ist – auch bei psychischen Erkrankungen. Allerdings unter strengen Bedingungen:

  • Der Wunsch zu sterben muss freiwillig, anhaltend und gut überlegt sein.

  • Das Leiden muss als „unerträglich und ohne Aussicht auf Besserung“ bewertet werden.

  • Zwei unabhängige Ärzte – darunter bei psychischen Diagnosen eine Psychiaterin – müssen dies bestätigen.

  • Alle zumutbaren und sinnvollen Behandlungen müssen zuvor ausprobiert worden sein.

Im Jahr 2024 gab es fast 10.000 Sterbehilfe-Fälle in den Niederlanden. Nur rund 200 davon betrafen Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen – ein Zeichen dafür, wie engmaschig und zurückhaltend das System bei solchen Anträgen reagiert. Gesetze zur Sterbehilfe in der Niederlande


Wer ist Menno Oosterhoff?

Eine der wichtigsten Stimmen in dieser Debatte ist der niederländische Psychiater Menno Oosterhoff. Er setzt sich dafür ein, dass psychisches Leiden im Sterbehilfe-Kontext nicht systematisch ausgeschlossen wird. Für ihn ist es eine Frage der Gerechtigkeit: Auch seelischer Schmerz kann unerträglich sein – und sollte im Ernstfall als legitimer Sterbegrund gelten.

Doch auch Oosterhoff polarisiert. Seine Beteiligung an öffentlich diskutierten Fällen – etwa der Euthanasie einer 17-jährigen Patientin – brachte ihm nicht nur Anerkennung, sondern auch massive Kritik ein. Dennoch ist seine Haltung klar: Niemand sollte leichtfertig aufgeben dürfen – aber niemand sollte zum Aushalten gezwungen werden, wenn keine Hilfe mehr wirkt. DutchNews vom Oktober 2024

In diesem Kontext lesenswert auch der Sterbewunwsch von Zoraya ter Beek (29‑jährige Patientin) über den ich vor einem Jahr berichtete - er behandelt den Freitod einer jungen Frau, der öffentlich breit diskutiert wurde – hilfreich für Kontext zur Entwicklung von Diskussion um Sterbehilfe bei psychischem Leiden in der Niederlande. Hier auch ein Artikel aus dem Guardian - dieser Artikel nennt Oosterhoff als unterstützende Stimme im Diskurs über psychische Leiden als Sterbehilfegrundlage.


Fazit: Zwischen Tabubruch und Verantwortung

Joseph Awuah-Darko hat die Grenzen zwischen Kunst, Therapie und öffentlicher Debatte verschoben. Ob seine Entscheidung ein Hilferuf, ein Abschied oder ein kreativer Akt war – das bleibt offen. Was sicher ist: Sein Projekt hat uns gezwungen hinzuschauen, nachzufühlen, neu zu denken.

Doch genau hier beginnt unsere Verantwortung – als Gesellschaft und als Einzelne. Wer über Sterbehilfe spricht, muss auch über die Pflicht sprechen, Leben zu schützen. Die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen für assistierten Sterbehilfe sind wichtig, weil sie helfen, Entscheidungen zu prüfen, Leid zu verstehen und Menschen zu begleiten – nicht, um sie zu blockieren, sondern um Würde, Freiheit und Schutz miteinander zu vereinen.

Gerade auf einem Blog wie diesem, der sich für Aufklärung rund um Sterbehilfe einsetzt, betone ich: Es geht nie nur um das Recht zu sterben – sondern auch um die Verantwortung zu leben. Es geht darum, Menschen zu helfen, ihre Not zu lindern – und wenn das nicht mehr möglich ist, ihnen in Liebe loszulassen. Wir alle tragen diese Verantwortung: für unser eigenes Leben, für unsere Mitmenschen und für die Regeln, die uns leiten. Sterbehilfe darf kein Versprechen sein – aber sie muss eine Option bleiben, wo alles andere versagt.


Artikel in diesem Kontext:

Sterbehilfe - Was ist erlaubt? - Wo ist es erlaubt?

Zahlen und Fakten zur Sterbehilfe - Diagnosen und Gründe - 2021-2024

Die Niederlande und deren Gesetze zur Sterbehilfe - Stand Mai 2024

Artikel zu Psychiatrisches Gutachten


Als weiterer und andere Lesehinweis der Blog von Menno Oosterhoff - Menno Oosterhoff arbeitet als Kinder- und Jugendpsychiater mit Spezialisierung auf Autismus-Spektrum-Störungen und Zwangserkrankungen bei Kindern und Erwachsenen. Seit mehreren Jahren schreibt er regelmäßig Blogbeiträge, in denen er über Themen wie psychisches Leiden, Sterbehilfe und ethische Verantwortung spricht.




Hilfe - Suizidprävention

Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.

Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 - 443 509 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Jüdische Bundesweite telefonische Hotline folgt asap

Hebräischsprachige Hotline "Matan": ‚Matan‘ ist ein Projekt der Beratungsstelle ‚OFEK‚ e. V. und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).  Telefonnummer: 0800  - 000 16 42  Hotline-Zeiten: Jeden Tag der Woche 20:00-22:00 - Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Telefonseelsorge (KTS) durchgeführt und durch die Deutsche Fernsehlotterie gefördert.

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de






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