Wenn Erkrankungen, wie z.B. neurologische Erkrankungen, unerträglich werden

"Leben in Würde – Sterben in Würde: Wenn Erkrankungen, wie z.B. neurologische Erkrankungen, unerträglich werden"

Ein Beitrag über selbstbestimmte Entscheidungen am Ende eines langen Leidenswegs – und ein Appell an Gesellschaft, Mediziner, Ärzte, Forschung und Politik.


In der öffentlichen Diskussion über Suizid und Freitod, Würdigem Leben und Sterben, Pflege, und Sterbehilfe wird häufig zu wenig über jene gesprochen, deren Leidensdruck weder psychisch "einfach behandelbar" noch körperlich „sichtbar“ ist. Es sind Menschen, die an schweren, oft unheilbaren neurologischen Erkrankungen leiden – wie z. B. Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) oder ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom). Erkrankungen, die in ihrer Schwere und im Alltagsimpact selbst von medizinischen Fachkräften oft unterschätzt werden.

Ich schreibe diesen Beitrag nicht theoretisch – sondern aus persönlicher Erfahrung. Meine Frau lebt mit PPMS, einer langsam, aber unaufhaltsam fortschreitenden neurologischen Erkrankung. (Mein erster initialer Artikel ist meiner Frau gewidmet, die Person die mir heute noch die Kraft gibt für ein gutes Leben und gutes Sterben, für würdevolles Leben und Sterben einzutreten).
Ich sah und sehe täglich, was es bedeutet, wenn Schmerz, Einschränkung, Kontrollverlust und Isolation zum Alltag werden. Hinzu kommt das Gefühl, nicht gehört oder ernst genommen zu werden.
Das betrifft nicht Betroffene, auch Angehörige – es betrifft Tausende.
Auch Menschen mit ME/CFS. Menschen wie Marc und Silja, die ich in früheren Artikel beschrieb habe, und heute kommen Judith und Sarah hinzu, Menschen von denen ich in den letzten Wochen erfahren habe, deren Schicksale und Entscheidungen ich teilen möchte - um Menschen Kraft zu geben.

Der Umgang mit schweren Erkrankungen stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor enorme Herausforderungen. Während die einen beschließen, die Krankheit mit allen Konsequenzen zu erleben und zu durchleben, entscheiden sich andere, nach sorgfältiger Abwägung aller Optionen, für ein Ende des Krankheitsverlaufs. Vor ein paar Monaten habe ich den Umgang mit schweren Erkrankungen und Zwei unterschiedlichen Wegen, mit diesen Herausforderungen umzugehen in einem thematisiert. Ein Artikel der um Michael Venne, um seine ALS Erkrankung, geht - und eine Reihe weitere Menschen nennt die alle ein Vorbild für viele Erkrankte sein können.

Menschen, die für viele stehen ... aus der jüngeren Zeit

Judith Schossböck verstarb am 10. Dezember 2024 im Kreis ihrer Liebsten durch eine selbstbestimmte Sterbehilfe. Trotz schwerer Krankheit führte sie ein intensives, kreatives Leben, geprägt von ihrer Liebe zur Wissenschaft, Kunst und zum Aktivismus. Sie promovierte über Gesundheitsaktivismus, gründete das Black Ferk Studio und setzte sich unermüdlich für die Sichtbarkeit von Menschen mit ME/CFS ein – meist vom Bett aus. Ihre letzten Gedanken sind nachzulesen auf der Website des Black Ferk Studios: https://blackferkstudio.com/en/news-and-projects

Am 8. Juli 2025 entschied sich Sarah Buckel, 31 Jahre alt, für ein selbstbestimmtes Lebensende durch Sterbehilfe. Ihre Geschichte ist bekannt geworden, weil sie den Mut hatte, ihren Leidensweg öffentlich zu teilen. Ihr letzter Tweet lautete:
„Ich möchte mich kurz – schmerzlos geht nicht – öffentlich verabschieden.“
(Der Humanistischer Pressedienst hat zu Sarah Buckel einen guten Artikel verfasst: https://hpd.de/artikel/unertraeglichkeit-des-leidens-23362)

Judith Schossböck  und Sarah Buckel litten beiden an ME/CFS – einer Erkrankung, die als Folge einer Covid-Infektion auftreten kann.

Was viele immer noch als „chronische Erschöpfung“ bagatellisieren, ist in Wahrheit ein schweres neuroimmunologisches Krankheitsbild mit Symptomen wie:

  • krankhafter Fatigue

  • kognitiven Störungen

  • massiven Schmerzen

  • Reizüberempfindlichkeit

  • gestörtem Immunsystem und autonomen Nervensystem

  • Verschlechterung durch geringste körperliche Anstrengung

Eine Heilung? Gibt es bisher nicht. Nur lindernde Maßnahmen, wenn überhaupt, ganz so wie bei der PPMS. Bei der PPMS gibt es nur eine Medikament, dass bei ca. 7% der Patient*innen eine Verlangsamung der der Verschlechterung erreichen kann, 95% haben aber geringe bis massive Nebenwirkungen.
Die Lebensqualität vieler Betroffener sinkt auf ein Maß, das für Außenstehende kaum nachvollziehbar ist.


Keine Einzelfälle - Vier Menschen von Vielen

Beide Entscheidungen war keine Ausnahme. Sterbehilfevereine wie die DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) berichten über eine Zunahme von Anfragen durch Betroffene mit ME/CFS oder Long Covid. Auch bei PPMS-Betroffenen häufen sich stille Anfragen. Menschen, die vieles versucht haben: Medikamente, alternative Heilmethoden, Palliativmaßnahmen – und doch keinen Weg zu erträglichem Leben gefunden haben.

Anfragen zu einer Sterbehilfe kommen nicht im Affekt, sondern nach langjährigem, intensiven Auseinandersetzen mit ihrer Krankheit.
Mit Würde, mit Klarheit. Es sind individuelle Schicksale – niemals leichtfertige Entscheidungen.

Der Wunsch nach Sterbehilfe entsteht in der Regel nicht, weil die Betroffenen nicht leben wollen – sondern weil sie so nicht mehr leben können.
Weil das Leid zu groß wird und die Aussicht auf Besserung fehlt.

Doch was wäre, wenn...

  • ...es ausreichend spezialisierte Ambulanzen und stationäre Angebote für ME/CFS und andere neurologisch schwer verlaufende Erkrankungen gäbe?

  • ...es mehr, echte und umfassende palliative Versorgung gäbe?  (mehr zur Palliativversorgung)

  • ...es psychologische und soziale Begleitung für Betroffene und Angehörige gäbe, die den Namen verdient?

  • ...mehr geforscht, mehr gefördert, mehr zugehört würde?

Solange das nicht geschieht, sind viele Betroffene mit ihrem Leid auf sich allein gestellt. Und manchmal bleibt ihnen – aus ihrer Sicht – nur der Weg des würdevollen Sterbens statt einem Leiden, einem Existieren statt einem Leben, einem erfüllten Leben mit selbst definierter Freude und Würde.



Was wir brauchen

Wir brauchen keine Diskussion über Verbote, sondern über Angebote. Über menschenwürdige Unterstützung, über Forschung, über echte gesellschaftliche Teilhabe – auch für jene, deren Körper sie im Stich lassen.

Denn nicht die Verfügbarkeit von Sterbehilfe ist das Problem. Sondern oftmals die fehlenden Alternativen, die auch einem Leben entspricht, dass die Person erleben will und kann, und nicht nur existiert.

Ich appelliere an die Gesundheitspolitik, Forschungsinstitutionen, Kliniken und nicht zuletzt an die Gesellschaft:

Wir brauchen mehr Sichtbarkeit, mehr Empathie, mehr Angebote.
Und wir brauchen das Recht und die Alternativen und Möglichkeiten, in Würde zu leben – oder zu gehen.


Schlussgedanken

Sterbehilfe darf nie zur ersten Option werden – aber sie muss eine verfügbare Option bleiben für jene, die in vollem Bewusstsein, informierter Entscheidung und nach einem langen Leidensweg diesen Weg gehen wollen.

Am Ende zählt nicht die Statistik. Es zählt das individuelle Schicksal.
Das einzelne Leben. Der einzelne Schmerz.
Und die Entscheidung, was Würde bedeutet – für jeden Menschen selbst.


In meinem Blog: Death with Dignity – WX – Widow Experience  möchte ich ...
Für mehr Empathie, Aufklärung und individuelle Würde – im Leben wie im Sterben
... eintreten





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