Zuversicht als Haltung – ein Gedanke zum Jahresende

Es ist Dezember, und der Blick auf die Welt fühlt sich schwer an. Nachrichtenlagen überlagern sich, Krisen scheinen sich gegenseitig zu verstärken, und vielerorts gewinnen rechtsextreme und faschistische politische Strömungen an Einfluss.
Was lange als überwunden galt, tritt wieder offen zutage: die Abwertung von Vielfalt, die Sehnsucht nach einfachen Antworten, die Bereitschaft, Freiheit gegen vermeintliche Sicherheit einzutauschen. In solchen Zeiten ist es nur allzu verständlich, dass viele erschöpft sind und müde werden, dagegenzuhalten.
Und doch stellt sich gerade jetzt eine vielleicht unbequeme Frage:
Wie bleiben wir innerlich und geistig beweglich, ohne die Realität zu verleugnen – und wie können wir präsent bleiben, für uns selbst und für die Gesellschaft?

Der Satz „Wir haben die Pflicht zur Zuversicht.“ wirkt in diesem Zusammenhang zunächst ungewohnt scharf. Giovanni di Lorenzo hat ihn in den vergangenen Jahren immer wieder betont, nicht als moralischen Appell von oben herab, wie ich es verstehe, sondern als Denkangebot in Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung.
Mit Zuversicht meine ich hier kein Gefühl, das kommt und geht. Zuversicht beschreibt, meinen Gedanken nach, eine Haltung, für die man sich entscheidet.
Zuversicht ist etwas anderes als Optimismus. Optimismus sagt: Es wird schon gutgehen.
Zuversicht sagt, wie ich es verstehe: Es kann besser werden – und mein Handeln spielt dabei eine Rolle. Zuversicht baut auf und beruht auf Hinsehen, und auf Klarheit. Nicht auf Naivität, sondern auf einem nüchternen Blick auf das, was ist. 
Zuversicht heißt, die Schwierigkeiten zu sehen. Zu wissen, dass es scheitern kann. Und dennoch zu dem Schluss zu kommen, dass es richtig ist, sich einzumischen und für etwas zu stehen, auch wenn es andere ggf. als Naivität titulieren würden oder werden. Der Kern der 'Zuversicht' liegt, für mich, im Glauben daran, dass Veränderung möglich ist – nicht automatisch, sondern durch Einsatz.

Warum also von einer Pflicht sprechen? Weil Resignation Konsequenzen hat. Wenn Menschen aufhören, an Veränderung zu glauben, ziehen sie sich zurück, überlassen Entscheidungen anderen und akzeptieren Zustände, nur weil sie sich verfestigt haben. Resignation ist nicht neutral . es ist sowenig neutral wie dem Einreißen einer 'Brandmauer'.
Zuversicht ist eine bewusste Entscheidung gegen Gleichgültigkeit. Ich wünschte mir, dass Zuversicht weniger eine private Stimmung als eine gesellschaftliche Haltung ist/wäre.

Diese Haltung entsteht selten aus Sicherheit. Zuversicht wächst oft dort, wo Menschen Widerstand erlebt haben. Wo sie erfahren haben, dass eigenes Handeln – auch im Kleinen – etwas bewirken kann. Wer solche Erfahrungen macht, entwickelt ein leises Vertrauen: Es lohnt sich, nicht aufzugeben.
Ebenso entscheidend ist Beziehung. Zuversicht ist selten ein Einzelprojekt. Sie entsteht im Austausch, im gemeinsamen Zweifel, im Wissen, nicht allein zu sein.
Manchmal reicht ein Mensch, der sagt: Ich gehe diesen Weg mit dir. Und schließlich ist da der Sinn. Zuversicht fragt nicht zuerst, ob etwas gelingen wird, sondern ob es richtig ist, es zu versuchen.
Wo Sinn spürbar ist, kann Unsicherheit ausgehalten werden.

Enttäuschung bleibt dabei nicht aus. Sie gehört dazu und ist kein Beweis dafür, dass Zuversicht falsch war. Enttäuschung ist vielmehr der Moment, in dem sie sich bewähren muss. Zuversicht verschwindet, wenn sie ausschließlich vom Erfolg getragen wird. Sie bleibt, wenn sie als innere Haltung verstanden wird. Nicht alles, was scheitert, war umsonst. Manches verändert nicht sofort die Welt, aber den Menschen, der handelt. Auch das zählt.

Hoffnung, Mut und Zuversicht werden oft gleichgesetzt, doch sie meinen Unterschiedliches.
Hoffnung sagt: Ich wünsche mir, dass es anders wird. Sie kann warten.
Mut sagt: Ich handle trotz Angst. Er ist oft an einen bestimmten Moment gebunden.
Zuversicht dagegen sagt: Ich sehe die Risiken. Ich weiß, wie schwer es ist. Und dennoch halte ich mein Handeln für sinnvoll.

Am Ende dieses Jahres, mit all seinen Brüchen und Belastungen, scheint mir genau das entscheidend. Ohne Zuversicht gäbe es keinen Einsatz für Gerechtigkeit, keine gesellschaftlichen Veränderungen, keine Vorstellung von Zukunft. Zuversicht ist nicht die Überzeugung, dass alles gut ausgeht. Sie ist die Weigerung, das Gute für aussichtslos zu erklären. Oder anders gesagt: Sie erlaubt der Gegenwart nicht, das letzte Wort über die Zukunft zu haben – und macht so einen offenen, zuversichtlichen Blick in das Jahr 2026 möglich.

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