Persönlicher Bericht zum Online-Meeting: Erste Ergebnisse zur Praxis der 'Sterbehilfe'
Vor einem Monat verwies ich auf das "Register Suizidassistenz" - dass das Ziel hat die empirische Fundierung der Gestaltung einer verantwortbaren Praxis des Umgangs mit Anfragen und der Assistenz beim Sterben. Hier der Link zum Hinweis
Hier ist nun mein persönlicher Bericht bzw. Meeting-Mitschrift zum Online Meeting / Vorstellung erster Ergebnisse, vom gestrigen Tag dem 24.Juni 2025, des ...
Bericht- und Lernsystem „Anfragen und Praxis bezüglich Assistenz bei der Selbsttötung“.
durch
- Prof. Georg Marckmann (München)
- Prof. Thomas Pollmächer (Ingolstadt)
- Prof. Jan Schildmann (Halle/Saale)
- Prof. Alfred Simon (Göttingen)
Persönlicher Bericht zum Online-Meeting:
Erste Ergebnisse zur Praxis der 'Sterbehilfe'
Im Rahmen eines Online-Meetings wurde am Beispiel der aktuellen Untersuchung „Anfragen und Praxis bezüglich Assistenz bei der Selbsttötung“ ein umfassender Einblick in den Stand der Assistenz beim Sterben / Sterbehilfe in Deutschland gegeben.
Die präsentierten Ergebnisse basieren auf einer empirischen Studie, die 2024 unter der Leitung der medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt wurde.
Ziel der Erhebung war es, ist es, da sie noch immer zugänglich ist, besser zu verstehen, wie Menschen Anfragen nach assistierter Selbsttötung stellen, wie die Praxis gestaltet ist, welche Herausforderungen bestehen und wie man die Begleitung verbessern kann. Link zur Umfrage
Hintergrund
Ausgangspunkt war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020, das die Sterbehilfe in Deutschland unter bestimmten Bedingungen rechtlich möglich machte – insbesondere unter der Voraussetzung, dass der Wunsch frei und informiert geäußert wurde.
Seitdem nimmt die Zahl der Anfragen und Fälle stetig zu. Organisationen wie DGHS, Dignitas oder Sterbehilfe e.V. berichten von wachsendem Interesse, allerdings fehlten bislang systematische und wissenschaftlich fundierte Daten zur Praxis. Auch gibt es mittlerweile eine Reihe kommerzieller Anbieter und freie Helfer*innen.
Methodik der Studie
Die Studie stützt sich auf eine öffentliche, anonyme Online-Befragung mit 26 Fragen, die sich u. a. auf persönliche Einstellungen, praktische Erfahrungen und den Ablauf der Sterbehilfe bezogen. Insgesamt gingen 133 Berichte in die Auswertung ein. Die Ergebnisse wurden sowohl quantitativ als auch inhaltsanalytisch ausgewertet, um ein differenziertes Bild zu zeichnen.
Erste zentrale Ergebnisse
Die Resultate zeigten ein sehr vielschichtiges Bild:
Haltung zur Sterbehilfe :
Die große Mehrheit der Teilnehmenden (82 %) äußerte sich positiv gegenüber Sterbehilfe . Nur eine Minderheit (6 %) war unsicher oder ablehnend.
Zielgruppe:
Die Berichte betrafen in der Regel ältere Menschen zwischen 70 und 90 Jahren – besonders häufig die Altersgruppe 80–89. Viele von ihnen hatten einen höheren Bildungsabschluss und verfügten meist über ein soziales Umfeld, oftmals durch Familie. Es gab aber auch Berichte über alleinlebende Personen.
Krankheitsbilder:
Die häufigsten Diagnosen, die einen Wunsch nach Sterbehilfe begleiteten, waren:
- unheilbare Krebserkrankungen
- neurologische Erkrankungen wie ALS oder MS
- chronische Schmerzzustände
In einigen Fällen wurden auch psychische Erkrankungen genannt.
Ablauf der Anfragen und Umsetzung:
In knapp der Hälfte der Fälle (47 %) begleiteten Ärzt*innen den Prozess, gefolgt von Palliativteams und Psycholog*innen. Auch Angehörige spielten häufig eine tragende Rolle.
Die Umsetzung erfolgte in der Regel durch Infusion, seltener oral, und meist im privaten Umfeld, manchmal aber auch in Pflegeeinrichtungen, Hospizen oder Krankenhäusern.
Herausforderungen und Probleme im Prozess
Mehrere Schwierigkeiten traten im Umgang mit Sterbehilfe regelmäßig auf:
- Unsicherheiten bei der Feststellung des freien Willens
- Mangelhafte Aufklärung oder Informationsdefizite bei Betroffenen
- Kommunikationsprobleme zwischen beteiligten Personen
- Juristische und organisatorische Hürden
- Skepsis oder Ablehnung durch Angehörige oder Fachpersonen
In wenigen Fällen gab es gar keine Probleme, was zeigt, dass der Prozess grundsätzlich komplex ist und individuell verläuft.
Wichtige Einblicke aus der detaillierten Auswertung
Besonders spannend waren die vertieften Informationen aus einzelnen Teilaspekten:
Zeitraum zwischen Anfrage und Durchführung:
In den meisten Fällen lagen zwischen Anfrage und Umsetzung ein bis sechs Monate.
Verantwortlich für die Prüfung der Freiverantwortlichkeit:
Diese Aufgabe übernahmen meist Ärzt*innen, gefolgt von Jurist*innen, Psychotherapeut\*innen, Organisationen der Sterbehilfe und in Einzelfällen unabhängige Dritte.
Ort der Durchführung:
Die meisten Fälle wurden im privaten Umfeld oder in Pflegeeinrichtungen durchgeführt, seltener in Hospizen oder Krankenhäusern.
Anwesenheit bei Durchführung:
Angehörige und Ärzt*innen waren am häufigsten anwesend, vereinzelt auch Freund*innen, Pflegekräfte oder Jurist*innen.
Dauer bis zum Tod:
Der Tod trat meist innerhalb von 30 Minuten nach Verabreichung des Medikaments ein.
Prüfung der Freiverantwortlichkeit – ein komplexer Bestandteil
Die Feststellung, ob eine Person wirklich aus freien Stücken handelt, war ein zentrales Thema. Dabei kamen verschiedene Methoden zum Einsatz:
- Gespräche mit verschiedenen Fachpersonen (am häufigsten genannt)
- Erstellung von Gutachten und ärztlichen Berichten
- Einschätzung der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Wunsches
- Prüfung von Einsichts- und Urteilsfähigkeit
- Bewertung der Alternativen und ihrer Bekanntheit bei den Betroffenen
Information über Alternativen und Handlungsoptionen
Ein zentraler Punkt war die Aufklärung über andere Möglichkeiten – etwa palliative Angebote, stationäre Versorgung oder ambulante Betreuung. Ziel war es, dass die Betroffenen eine reflektierte Entscheidung treffen können und nicht aus einem Gefühl der Alternativlosigkeit heraus handeln.
Wünsche, Kritik und Unterstützungsbedarfe
In der Diskussion kamen wichtige Rückmeldungen von Fachpersonen zur Sprache:
Wünsche:
- Mehr rechtliche Klarheit und einheitliche Regelungen
- Bessere Fortbildungen, Supervision und Handlungsleitlinien
- Psychologische Unterstützung und Raum für Austausch
Kritik:
- Diskriminierung bei psychiatrischen Diagnosen: Teilweise wurde Personen mit psychischen Erkrankungen der Zugang zur Sterbehilfe erschwert.
- Zweifel an der Umsetzbarkeit einer wirklich "freiverantwortlichen" Entscheidung in allen Fällen.
- Kritik an der zu starken Bindung an medizinische Diagnosen – einige plädierten für mehr individuelle Entscheidungsfreiheit.
Besondere Erfahrungen und Reflexionen
Einige Teilnehmende berichteten von Situationen, in denen sich der Wunsch nach einer Sterbehilfe nach intensiven Gesprächen wieder auflöste. Andere Personen gaben an, Sterbehilfe und deren Assistenz lediglich als theoretische Option für die Zukunft zu betrachten.
Was half den Beteiligten in der Situation?
- Zeit und Raum für Gespräche (am häufigsten genannt)
- Sicherheit, dass die Entscheidung frei getroffen wurde
- Persönlicher Kontakt, um Motive besser zu verstehen
- Unterstützung durch medizinische oder juristische Fachleute
- Mehr Wissen über Sterbehilfe
Fazit und Ausblick
Die präsentierten Ergebnisse zeigen, wie komplex, individuell und oft herausfordernd der Prozess der assistierten Selbsttötung ist.
Es braucht dringend klare gesetzliche Regelungen, was ich ja nur in teilen so sehe aus den hier verlinkten Gründen, professionelle Begleitung und ein Bewusstsein für die emotionale, rechtliche und ethische Dimension des Themas.
Die Studie liefert einen wichtigen empirischen Beitrag, der als Grundlage für Diskussion, Fortbildung und politische Entscheidungen dienen kann. (Es wurde gesagt, dass die Folien der Präsentation noch nicht freigegeben werden sollen, sobald dies ist werde ich diese auch hier bei mir verlinken.)
Gleichzeitig zeigt sich: Ein offener Dialog, fundierte Aufklärung und transparente Strukturen sind entscheidend, um den Betroffenen einen verantwortungsvollen Weg zu ermöglichen – sei es in Richtung Sterbehilfe oder alternativer Hilfsangebote.
Noch ein persönliches Fazit.
Ich habe parallel auf die Teilnehmer der fast 200 Meeting-Teilnehmer*innen geschaut und im kleinsten Einstelligen Prozentbereich Vertreter des Bundestag erkennen können - Was ich sehr schade fand. Und ich freute mich viele bekannte Namen als Zuhörer zu sehen.
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