Sterbehilfe in Deutschland: Es braucht kein großes neues Gesetz – sondern Verantwortung, Klarheit und Handlung auf anderen Ebenen

Das Bild zeigt eine einfühlsame Szene, in der ein Arzt mit zwei älteren Personen in einem freundlich gestalteten Raum spricht. Neben einer warmen Atmosphäre sind links im Hintergrund grüne Pflanzen zu sehen. Der Arzt hält die Hände einer der Personen, was Empathie und Vertrauen vermittelt.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe /  Suizidassistenz (§ 217 StGB) aufgehoben hatte, versuchte der Bundestag 2023, eine gesetzliche Neuordnung zu schaffen. Zwei konkurrierende Gesetzentwürfe – einer strafrechtlich geprägt (Lars Castellucci u. a.), der andere liberaler und auf Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs ausgerichtet (Helling-Plahr/Künast) – scheiterten. (Gesetzentwürfe Juli 2023)

Doch gerade dieses Scheitern sollte als Chance begriffen werden: Nicht jeder gesellschaftlich sensible Bereich braucht ein großes, zentrales Gesetz. Vielmehr liegt der Handlungsbedarf dort, wo die Praxis stattfindet – in der konkreten Arbeit von Ärzten, Therapeutinnen, Rettungskräften, Juristen, Pflegepersonal und ethischen Gremien.


Der wohlerwogene Freitod ist heute bereits rechtlich möglich

Die aktuelle Gesetzeslage – bei allen Schwächen und Herausforderungen – bietet bereits eine tragfähige Grundlage, um einen wohlerwogenen, freiverantwortlichen Freitod zu ermöglichen. Das betrifft insbesondere folgende Punkte:

  • Die Freiheit des Einzelnen zur Selbstbestimmten Sterben ist verfassungsrechtlich geschützt.
  • Ärztinnen und Ärzte dürfen nach geltendem Recht Sterbehilfe leisten, sofern sie sich strafrechtlich absichern - insbesondere hinsichtlich Freiverantwortlichkeit und Aufklärung.
  • Es existieren keine gesetzlichen Verbote mehr, die eine Hilfe grundsätzlich ausschließen.

Doch wo es heute hakt, ist die Praxis: Es fehlt an klaren Regelungen, Leitlinien und Verfahren für diejenigen, die Hilfe leisten oder in Notfallsituationen Verantwortung übernehmen müssen.


Handlungsbedarf auf anderen Ebenen – konkrete Vorschläge

Als jemand, der sich seit Jahren intensiv mit diesen Fragen befasst und als Rettungsdienstmitarbeiter selbst mit schwierigen Situationen konfrontiert ist, sehe ich dringenden Handlungsbedarf – nicht im Bundestag, sondern auf anderen, oft übersehenen Ebenen:


1. Optimierung des Betäubungsmittelgesetzes

Das Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) muss angepasst werden, um den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten in kontrollierten Fällen eindeutig zu regeln. Derzeit existiert eine gewisse Rechtsunsicherheit – etwa im Umgang mit Sterbewilligen, die ein Rezept erhalten möchten. Bei den zugelassenen Arzneimittel handelt es sich dann beim Freitod um einen sogenannten Off-Label-Use. So ein Off-Label-Use stellt keine größere Hürde da - Der sogenannte „Off-Label-Use“ ist in der Medizin und in der Pharmazie sehr häufig und gehört in Medizinfelder wie der  wie beispielsweise der Dermatologie, der Onkologie, oder der Pädiatrie zum Alltag. Ärzt*innen brauchen deutlich bessere Rechtssicherheit.


2. Klarstellungen durch die Ärztekammern

Eine zentrale Forderung ist die Ergänzung der (Muster-)Berufsordnung. Ein möglicher Passus könnte lauten:

Sterbehilfe durch Ärztinnen und Ärzte ist grundsätzlich zulässig, wenn die Entscheidung zum Sterben auf einem freien und wohlerwogenen Willen des Patienten beruht. Die ärztliche Mitwirkung an einer freiverantwortlichen Sterbehilfe ist eine Gewissensentscheidung und Teil der ärztlichen Berufsausübung.

Ein solcher Satz könnte viel Unsicherheit in der Praxis beseitigen und zugleich dem Recht auf Selbstbestimmung wie auch der ärztlichen Ethik Rechnung tragen.  (§16 Beistand für Sterbende - in den 16 Landesärztekammern - unterschiedlich geregelt)


3. Verfahren zur Prüfung der Freiverantwortlichkeit

Derzeit gibt es keine klar definierten Verfahren zur Prüfung der Freiverantwortlichkeit. Zwar ist jeder Arzt verpflichtet, diese zu prüfen, andernfalls droht Strafbarkeit, wie wir selbst bei erfahrenen Ärzten erfahren und erleben mussten und müssen – doch wie dies konkret geschehen soll, ist unklar.
Ein praxistauglicher, nicht überregulierender Leitfaden ist notwendig.

  • Psychiatrische Gutachten sollten nicht der Regelfall sein.
  • Wer langjährige Patienten kennt, sollte im Rahmen eines Vier-Augen-Prinzips (z. B. durch Rücksprache in Qualitätszirkeln) eigenständig entscheiden können.
  • Es braucht dokumentierte Standards, keine starren Pflichten.


4. Fortbildung und Schulung für Exekutive und Notfalldienste

Polizei, Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften, Rettungsdienste und Pflegekräfte sind oft unzureichend über den aktuellen rechtlichen Rahmen informiert. Das führt zu Verunsicherung, Fehlentscheidungen und manchmal sogar retraumatisierenden Einsätzen.

  • Fortbildungen zu Sterbehilfe, Suizidprävention und Therapiebegrenzung sind unerlässlich.
  • Unklarheit herrscht z. B. darüber, was bei einer freiverantwortlichen Sterbehilfe strafrechtlich erlaubt ist, wie mit einem ärztlich begleiteten Freitod umzugehen ist oder wie eine Notfallversorgung bei mutmaßlichem Patientenwillen erfolgen soll.
  • Gerade in Notfallsituationen ist es entscheidend, zwischen suizidaler Krise und wohlüberlegtem Freitod zu unterscheiden.

Ich selbst biete im Raum Karlsruhe/Heidelberg regelmäßig Vorträge und Diskussionsrunden für Kolleginnen und Kollegen im Rettungsdienst an – und erlebe dabei, wie groß der Bedarf an Aufklärung und Austausch ist.


5. Einbindung bestehender Institutionen

Neben der Gesetzgebung auf Bundesebene haben weitere Institutionen einen Gestaltungsspielraum:

  • Patientenrechtegesetz: könnte spezifische Pflichten und Rechte bei der Sterbebegleitung, Lebensendbegleitung und Sterbehilfe definieren.
  • Psychotherapeutengesetz (PsychThG): bietet Ansatzpunkte für präventive Maßnahmen und Fortbildung.
  • DGPPN, AWMF und andere Fachgesellschaften: können Leitlinien zur ärztlichen Begleitung freiverantwortlicher Sterbewünsche entwickeln.
  • Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA): sollte klare Regelungen für die Palliativversorgung und Schmerztherapie schaffen – auch unter dem Aspekt der Sterbehilfe.
  • Berufsordnungen: müssen klarstellen, was erlaubt, geboten oder untersagt ist.


Fazit: Kein neues § 217 – sondern fundierte Regeln für eine sensible Praxis

Ein neuer § 217 StGB – wie er zuletzt im Raum stand – wäre nicht nur rechtlich bedenklich, sondern auch praktisch kontraproduktiv. Zumal der Entwurf aus der Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci eine Einschränkung der Informationsfreiheit vorsah.
Die bisherige Rechtsprechung und die Praxis der letzten Jahre zeigen: Der Status quo ist tragfähig – wenn man ihn durch klare Standards, Handlungshilfen und ethische Orientierung ergänzt.

Sterbehilfe braucht kein repressives Strafrecht – sondern Vertrauen in die professionelle Verantwortung der Heilberufe. Und sie braucht Schulung, Verfahren und Raum für menschliche Gewissensentscheidungen.


Artikel in diesem Kontext:

Q&A - Wieso ich gegen die Gesetzentwürfe im Juli 2023 war





















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