Sterbehilfe - 4 Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.Februar 2020

4 Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches am 26.Februar 2020 fiel, ist wichtig, denke ich, um Missverständnisse und Fragen im Zusammenhang mit den Mitte 2023 im Bundestag vorgelegten Gesetzentwürfen für ein neues Regelungsgesetz für den Freitod, die begleiteten Lebensbeendigungen zu klären. Zumal nun ein dritter Gesetzentwurf von einer weiteren Gruppe Abgeordneter angedacht wird.
Da es diesbezüglich wesentliche Punkte gibt, erachte ich es als notwendig, einen erläuternde Artikel zu schreiben:

  1. Erstens war es in Deutschland seit der Reichsgründung im Jahr 1871 stets erlaubt, begleitete Sterbehilfe durchzuführen – das ging bis Dezember 2015 - und wie wir wissen und erdulden mussten bis Februar 2020. Gegner der Sterbehilfe erreichten damals ein Verbot der Sterbehilfe (§ 217 StGB). Dieses gegen das Grundgesetz verstoßende Gesetz wurde jedoch am 26. Februar 2020 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und somit für nichtig erklärt.
  2. Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020 dem Gesetzgeber nicht die Aufgabe auferlegt, ein Regulierungsgesetz für die Sterbehilfe zu schaffen, wie oft angenommen wird. Vielmehr hat das Gericht der Bundesregierung lediglich die Option eingeräumt, eine solche gesetzliche Regelung zu erlassen. Hierbei ist der grundlegende Unterschied zwischen der Verpflichtung und der Möglichkeit zu beachten.
  3. Drittens besteht kein Bedarf an einem Regulierungsgesetz für die Sterbehilfe. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung am 26. Februar 2020 klare und eindeutige Regelungen hinsichtlich der Voraussetzungen für begleitete Sterbehilfe, der Beendigung des Lebens festgelegt. Eine neue gesetzliche Regelung würde die Voraussetzungen für die Sterbehilfe nicht deutlicher bestimmen können als dies bereits getan wurde. Es gibt daher keine "Grauzone", sondern eine klar festgelegte Regelung.
    Den Handlungsbedarf den ich sehe habe in den letzten Monaten häufig erläutert, dass ein wohlerwogener Freitod möglich ist. Das unsere Gesetze eine recht gute, wenn ich nahezu vollkommene gute rechtliche Basis bilden, wenn ...
    • das Betäubungsmittelgesetz optimiert wird,
    • zivilrechtliche Grundlage für Ärzt*innen geschaffen werden und von Ärztekammer un­miss­ver­ständ­lich Regelungen (siehe hierzu auch "Ärztliche Unterstützung bei Sterbehilfe"). Ich denke zum Beispiel an eine Ergänzung in der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung wie, dass Sterbehilfe durch Ärzt*innen grundsätzlich zulässig ist, wenn die Entscheidung zu einem Freitod tatsächlich dem freien und wohlerwogenen Willen des Betroffenen entspricht. Sowie, dass die ärztliche Sterbehilfe, nach einer wohlabgewogener Gewissensentscheidung des Arztes / der Ärztin, eine freiverantwortliche ärztliche Entscheidung ist.
    • Exekutive in Deutschland (Staatsanwaltschaft, Polizei und Kriminalpolizei) ebenso klare Regelungen und Fortbildungen erhalten (ich habe bislang nur wenige Beamte erlebt die über die aktuelle Rechtslage seit 2020 aufgeklärt sind - Polizeiliche Ermittlung im Fall eines Freitod
    •  ... alle anderen Fälle decken die bestehenden Gesetze und das bestehende Strafgesetzbuch ausreichend ab, wie auch der aktuelle rechtliche Status Quo und die Freitode in dieser Zeit zeigen Zahlen und Fakten zur Sterbehilfe - Diagnosen und Gründe - Zahlen zur Sterbehilfe in Deutschland 2021 aufzeigen. 
  4. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 bietet wieder verschiedene vereine, auf Anfrage assistierte Sterbebegleitung an. Dabei halten sich die Vereine, verständlicherweise strikt an die vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Bedingungen.
  5. Aus Eigeninitiative empfehle ich, wie es ebenfalls  und meines Wissens auch die Vereine tun, bei jeder Freitodbegleitung die für den juristischen Stadt- oder Landbereich zuständige Polizei und Staatsanwaltschaft einzubeziehen und etwas 10 bis 7 Tage vor dem geplanten Termin vorab zu informieren. Ich nenne den Beamten ...
    • Ortteil (nicht die exakte Adresse)
    • Todestag und grobes Zeitfenster (z.B. Vormittag, Nachmittag, Abend)
    • Gebe die Anzahl der Anwesenden an (nicht die Namen, die Anzahl ergibt sich ja aus der Befreiung / Modifizierung der Garantenpflicht)
    • Nenne die vorbereiteten Dokumente wie Lebensbericht.
    • Frage ob die Beamten einen Kopie des Video-Recording wünschen (das tue ich proforma, da es immer gewünscht und angeraten ist - Kopien der Videoaufzeichnungen der Vorgespräche behalte ich zunächst immer bei mir und reiche sie bei Bedarf nach, bislang wurde es nur einmal nachgefordert, wenn die schriftlichen Dokumente aussagekräftig sind waren diese Dokumente, wie gesagt, bis auf einmal immer ausreichend.)
    • Frage ob die Beamten noch weitere Informationen brauchen, wie zum Beispiel zum Urteil der BVerfG.
    • Zum Schluss bitte ich, dass die ersteintreffenden Beamten keinen Rettungsdienst mehr rufen, was leider dann doch geschieht.
    • Dank der Absprache mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei haben für mich ergeben, dass die organisierten Freitode und assistierten Sterbebegleitungen immer korrekt ausgeführt wurden und exakt den vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Anforderungen entsprachen und auch die Familien wie Helfer in keinem Fall irgendwelche Probleme hatten. Und nach einigen Wochen immer ein Vermerk durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, dass die Akte geschlossen wird/wurde.
  6. Die im Juli 2023 vorgelegten zwei Gesetzesentwürfe im Bundestag, die Beide Initiativen zur gesetzlichen Regulierung der Bedingungen und Durchführung von assistierten Sterbebegleitungen beinhalteten wurden beide im Bundestag zurückgewiesen, was in beiden Fällen auch gut war. Somit besteht die zuvor beschriebene Regelung, die in Abschnitten 1. bis 4. dargestellt wurde, weiterhin.
  7. Ebenfalls im Juli 2023 wurde ein zusätzlicher Gesetzentwurf im Bundestag vorgestellt. Dieser enthielt einen Vorschlag zur Erstellung von gesetzlichen Regelungen zur Suizidprävention durch die Bundesregierung. Hierfür existiert immer noch keine gesetzliche Regelung, sondern lediglich ein Vorschlag, der der Bundesregierung unterbreitet wurde. Diese Initiative hat jedoch keinen Einfluss auf die bestehende Gesetzeslage für den Freitod..


Noch ein paar Worte zu den Beiden im Juli 2023 vorgelegten Gesetzentwürfen.

Ich habe damals die Abstimmung im Bundestag mit großer Spannung verfolgt, da im Vorfeld nicht klar war, ob der meines Erachtens freiheitsfeindliche und verfassungswidrige Entwurf von Lars Castellucci und Kolleg*innen nicht doch eine parlamentarische Mehrheit findet.
Glücklicherweise ist das Abstimmungsergebnis, auch wenn mit 363 Nein-Stimmen gegenüber 304 Ja-Stimmen denkbar knapp ausgefallen sind, für die Freiheit und Selbstbestimmtheit gut ausgegangen.
Ich bin sehr erfreut darüber gewesen und bin es noch immer, dass der Erfolg und die Freiheit für das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht im Nachhinein rückgängig gemacht wurde und es nun nicht erneut notwendig sein wird, das Bundesverfassungsgericht in dieser Angelegenheit erneut anzurufen.

Dass jedoch mehr als 300 Bundestagsabgeordnete für ein vermutlich verfassungswidriges Gesetz gestimmt haben, stimmt mich aber in jedem Fall bedenklich. Ich sehe überaus deutlich, dass sich diese Abgeordneten, wie leider auch meine meisten bisherigen Kontakte zu Abgeordneten zeigten, am deutlichsten ist dies bei Herrn Lars Castellucci der Fall, dass sich diese Abgeordneten gar nicht, oder nur einseitig, oder mit religiösen Scheuklappen dem Thema befasst haben. Mir scheint, dass nicht wenige Abgeordneten dringend eine Fortbildung zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Politik benötigen.


Artikel in diesem Zusammenhang:


Neuauflage eines § 217 StGB - Nicht Notwendig - Nicht Zielführend

Informationen, Filme, Video, Audio und mehr zum Thema Sterbehilfe und würdigem Sterben

Comments

  1. Kommentare sind willkommen, aber aus nachvollziehbaren Gründen publiziere ich diese nicht öffentlich, lese ihre Kommentare immer und werde darauf aufbauen oder inspiriert. Danke für Ihr Verständnis.

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