Kommentar zur Orientierungs­debatte im Bundestag über die Reform der Sterbehilfe - Mai 2022

Der Bundestag hat Mitte Mai 2022, in einer Generalaussprache über Möglichkeiten zur Reform der Sterbehilfe beraten. 

Hintergrund war und ist das Urteil des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus Februar 2020, dass das2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt und klargestellt hat, dass jeder Mensch ein Recht hat, selbstbestimmt zu sterben, auch mit Unterstützung Dritter.

In der Generalaussprache des Bundestag hatten viele Redner das Selbstbestimmungsrecht der Bürger*innen hervor gehoben, auf den Lippen. Oft wurde dieses aber schon im Folgesatz eingeschränkt.

In fast allen Reden wurde eine 'geeignete Beratungsinfrastruktur' zur Verfügung zu stellen um Suizide wo immer möglich zu verhindern. Wobei leider aus den Reden das Verhindern deutlicher betont wurde als die Hilfe die die Menschen brauchen / bräuchten.

Manche Redner forderten einen Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung. Aber bei allen war deutlich - dass sich die Redner weder mit der Palliativ- noch mit der Hospizversorgung auch nur mehr als mit dem Labeling beschäftigt haben.

Andere Redner warnten vor den 'Geschäftsinteressen' mancher Anbieter professioneller Sterbehilfe. Gerade von Parteivertretern die ansonsten mit allem Geld verdienen wollen und eine radikale Liberalisierung der Märkte fordern und das man mit jedem Leid Geld verdienen sollen darf, wie auch jeder Spekulation um Resourcen Tür und Tor öffnen darf - verwunderte mich solche eine 'Sorge' doch sehr.

Ich bin bereits in meinem Artikel am 18. Mai (Debatte zum Thema „Sterbehilfe“ des Bundestag - 18.Mai 2022) auf die Redner sehr kurz eingegangen und hatte alle Redner für mich eingeordnet. Hier möchte ich es gerne nochmals detaillierter tun für zwei gute Redner*innen und zwei erschreckende Redebeiträge:

Kathrin Helling-Plahr (FDP) sprach über den Gesetzentwurf den sie mit Kolleg*innen über Parteigrenzen hinweg als eine liberale Sterbehilfe-Regelung entworfen hat. Frau Helling-Plahr wies auf die Schicksale von Menschen mit chronischen Schmerzen hin und diese Menschen sich Sicherheit und Verlässlichkeit wünschen, entscheiden zu dürfen, wann das eigene Leben enden kann und soll, und damit das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und Ableben. Sie wies darauf hin, dass das Strafrecht inakzeptabel ist (wie es sich die Abgeordnetengruppe um Herrn Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) wünscht). Wer bereit sei, Menschen auf diesem letzten Lebensabschnitt zu begleiten und eine helfende Hand zu bieten, müsse mit Respekt gesehen werden und nicht mit Strafen bedroht werden. Den Betroffenen müsse mit Beratung zur Seite gestanden werden, mit konkreter Hilfe und im Letzten auch mit Verständnis und Beihilfe. Dabei sei es besser, den Ärzten die Entscheidung zur Hilfe zu überlassen statt Institutionen. Sie mahnte, das Recht dürfe nicht wieder durch zu hohe rechtliche Hürden unterlaufen werden.
Rede von Kathrin Helling-Plahr

Petra Sitte (Linke) betonte die Würde des Menschen, die Achtung der Würde des Einzelnen, das Solidarität und Achtung geboten wären und sind - und über all dies hinaus es um mehr Fürsorge und nicht um Bevormundung geht. Frau Sitte betonte und erinnerte, dass die Entscheidung des Karlsruher Gerichts aus der Perspektive der Betroffenen zu respektieren ist (welches vom Gesetzentwurf um die Gruppe Herrn Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) ausgeklammert bzw negiert wird). Sie mahnte, die aus dem Bundesverfassungsgerichturteil geforderten Regelungen die der Bundestag zu beschließen hat müssen praktisch wahrnehmbar und aus den zukünftigen Gesetzen und Regelungen herauslesbar und einforderbar sein. Frau Sitte sagte: „Ein Recht, das sich in der Praxis nicht ausleben lässt, ist kein Recht.“ Betroffene müssten aufgeklärt und beraten werden in rechtlicher und medizinischer Hinsicht sowie die Alternativen betreffend. 
Rede von Petra Sitte

Auch wenn es mir schwer fiel mir abermals die folgenden Reden anzuhören wollte ich es tun um nicht vielleicht doch positive Aspekte zu übersehen.

Ansgar Heveling (CDU/CSU) erinnerte an die Debatte im Bundestag von 2014 über die Sterbebegleitung - die die Unmöglichkeit einer Sterbehilfe von 2015 bis 2020 mainfestiert hat. Herr Heveling nannte dieses faktische Verbot der Sterbehilfe, das Leiden und Dahinsterben, den Zwang zu einem Brutal-Suizid einen Kompromiss und er sagte es sei eine Sternstunde des Parlaments gewesen. (spätestens hier musste ich mich erleichtern gehen, weil es mir speiübel wurde). So bezweifelt er sehr deutlich ob und wann ein Suizidwunsch Ausdruck von Autonomie sei oder sein könnte. Herr Heveling zweifelt generell oder in weitesten Teilen eine eigene Entscheidung in solchen Fällen an, vielleicht seien Betroffene zu krank, um die Entscheidung übersehen zu können, so Herr Heveling. Überdies sagte er, das es zu bezweifeln wäre ob Betroffene die Tragweite einschätzen können und diese zu reflektieren. In Herr Hevelings Ansicht nach sei es wichtig, dass sich der Staat schützend vor das Leben des Einzelnen stelle - was er damit explizit meint kann man dem faktischen Wiederaufleben und verschärfen des §217 in seinem Gesetzentwurf entnehmen. Geschäftsmodelle aber auch Informationen zur Sterbehilfe, die dazu führten, dass Sterbewillge sich informieren, und dass eine Normaliät zu Diskussion in der Gesellschaft entsteht, müssten verhindert werden.
Rede von Ansgar Heveling

Hubert Hüppe (CDU/CSU) sagte sehr offen und frei heraus (was in der Ehrlichkeit sehr OK ist) ihm falle es schwer, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu akzeptieren. Er wolle eigentlich nicht an einer Regelung mitwirken, die er ablehne - dann frage ich mich aber da es um die Basis unseres Grundgesetz geht - in wie weit hat Herr Hüppe da noch weitere Konflikte?  Was ich gänzlich nicht versteh war sein Satz: „Aber ich will keine Regelung, die Beihilfe zum Suizid sozusagen als therapeutische Alternative sieht.“ - Da dachte ich mir, nur wer sich oberflächlig mit der Problematik beschäftigt hat und über dies mit Empathie nichts zu tun hat, kommt auf die Idee das Sterben als therapeutische Alternative titulieren.
Immerhin erkennt Herr Hüppe an, dass Betroffenen sich in einer schweren Lebenslage befinden. Sidenote von mir, er sagte schweren Lebenslage und nicht 'schwersten' aber wie zuvor gesagt mit emotionaler Nähe oder thematischer Nähe scheint Herr Hüppe sich nicht die Zeit genommen zu haben - er reduzierte und relativiert diese 'schweren Lebenslage' entweder auf soziale Probleme oder psychische Erkrankungen. Und den Wunsch auf ein Ableben welches den Menschen von Schmerzen, Leiden und Verlust deren Würde befreien würden könnte man einfach so durch 'Beeinflussung der Lebensumstände' lösen. Und an Einer Stelle sorgt sich Herr Hüppe doch mal um Gefühle anderer Personen - aber nicht um die Leidenden Menschen - nein wo denkt man hin - er sorgt sich um helfende Menschen. Bei einer Sterbehilfe-Regelung fühlten sich womöglich manche Helfer moralisch zum assistierten Suizid verpflichtet. Diese Rede kann ich auch deshalb schon so schwer ertragen, da Herr Hüppe am Anfang selber sagte er könne solch einen Schritt für sich nicht ausschließen. Zudem kritisiert er zu recht die Zustände in Pflegeheimen und anderen Institutionen.
Rede von Hubert Hüppe



Ein paar Zahlen

2021 halfen Sterbehilfevereine bei fast 350 Fällen beim würdevolles Sterben

In Deutschland tätige Sterbehilfe-Organisationen haben im Jahr 2021 in fast 350 Fällen Suizide begleitet oder Assistenz für die Selbsttötung vermittelt. Die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben", "Dignitas Deutschland" und "Sterbehilfe Deutschland" stellten entsprechende Zahlen in Berlin vor. Die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" vermittelte 2021 nach eigenen Angaben 120 Sterbewillige an Sterbehelfer. "Sterbehilfe Deutschland" tat dies in 129 Fällen, "Dignitas" in 97.

Gründe für den Sterbewunsch der Betroffenen waren den Angaben zufolge schwere Erkrankungen, aber auch sogenannte Lebenssattheit. Alle drei Organisationen stellten auch Hilfe für Paare bereit, die gemeinsam sterben wollten. 

Pressekonferenz | Zwei Jahre Karlsruher Urteil (Veranstalter: DGHS Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben / DIGNITAS Deutschland / Verein Sterbehilfe / Giordano-Bruno-Stiftung)


2020 starben in Deutschland insgesamt 9 206 Personen durch Suizid

Hier die Zahlen der Jahre zuvor (Quelle: destatis.de ) 

Jahr Männer Frauen Insgesamt

2000 8.131 2.934 11.065

2001 8.188 2.968 11.156

2002 8.106 3.057 11.163

2003  8.179 2.971 11.150

2004 7.939 2.794 10.733

2005  7.523 2.737 10.260

2006 7.225 2.540 9.765

2007 7.009 2.393 9.402

2008 7.039 2.412 9.451

2009 7.228 2.388 9.616

2010 7.465 2.556 10.021

2011 7.646 2.498 10.144

2012 7 287 2.603 9.890

2013 7.449 2.627 10.076

2014 7.624 2.585 10.209

2015 7.397 2.681 10.078

2016 7.374 2.464 9.838

2017 6.985 2.250 9.235

2018 7.111 2.285 9.396

2019 6.842 2.199 9.041

2020 6.944 2.262 9.206

Männer nahmen sich deutlich häufiger das Leben als Frauen, rund 75 % der Selbst­tötungen wurden von Männern begangen. Das durch­schnittliche Alter von Männern lag zum Zeitpunkt des Suizides bei 58,5 Jahren. Frauen waren im Durchschnitt 59,3 Jahre alt. Wie gesagt im Jahr 2020 waren es insgesamt 9.206 Personen – das waren über 25 Personen pro Tag die durch Suizid starben. 1980 nahmen sich beispielsweise noch rund 50 Personen pro Tag das Leben.

9.206 Personen die sich oft brutal unter einbeziehungs oft von unbeteiligtsen Dritten das Leben genommen haben - wenn man nun überlegt, dass bei den oben genannten fast 350 Fällen von begleiteten Toden Sterbende, Angehörige und weitere Personen wie Ärzte (spätestens zur Leichenschau) und Polizisten sich auf diesen Umstand vorbereiten konnten oder könnten und gänzlich Unbeteiligte wie bei Auto- oder Zugunfall, Vergiftung, ... nicht einbezogen, schockiert, und traumatisiert werden ( Siehe auch Suizide nach Art der Selbsttötung destatis.de ) - frage ich mich was ist humaner und würdevoller?



Stenografischer Bericht des Bundestag 

Soweit meine Zusammenfassung und Sichtweise - Damit aber jeder, das Gesagte, ohne meine Interpretation lesen kann hier der Link zum Stenografischer Bericht: 

Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht



Artikel zur aktuellen Sachlage

Sterbehilfe - Organisation, Hilfe finden, Kosten

Recht auf selbstbestimmtes Sterben in Deutschland

Analyse der 3 Gesetzesentwürfe - Stand Januar 2022




Comments

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