Psychiatrisches Gutachten - Inhalt und Kriterien

Grundsätzlich gilt für jeden, dass beim Erstellen einer Willenserklärung oder auch ‚nur‘ der Patientenverfügung ist eine erhaltene Urteilsfähigkeit erforderlich - dies wird selbstredend notwendig bei Personen die eine psychischen Erkrankungen haben im Falle des Wunsches eines Freitod.
Und somit ein 'Psychiatrisches Gutachten über Urteilsfähigkeit' unabdingbar wenn es um einen Freitod, Sterbebegleitung und Sterbehilfe gehen soll.
Das Gutachten und die psychologische Bestätigung soll verhindern, dass eine entsprechende Willenserklärung nicht später infolge vermuteter psychischer Störung als nichtig angezweifelt werden könnten ( Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 104 Geschäftsunfähigkeit ). 
Somit liegt im Falle von einer psychischen Erkrankung die Aufwände nun einmal höher – letztlich geht es aber um die Urteilsfähigkeit – die im Zweifelsfall jeder haben muss und sollte, dem geholfen werden soll.

Wer kann ein Gutachten ausstellen:

Ein psychiatrisches Gutachten kann jeder Psychiater erstellen - es ist eine fachliche Expertise, Gutachten welches durch jede Fachärzt*in der Psychiatrie erstellt werden kann.
Eine spezielle Zulassung für Gutachten wie für Gerichte ist NICHT notwendig - so mein Wissensstand durch eine Fachanwältin - Stand heute.
Kostennote berechnet sich als private Rechnung die im Regelfall NICHT von der Krankenkasse getragen wird - jedoch in meinen beiden Fällen lag die Kostennote einmal bei etwas über 160,-Euro und beim anderen Fall 250,-Euro sonst bei bis zu 500-600 Euro - mir ist ein Fall bekannt bei der ca. 900,- Euro aufgerufen wurde.

Bei der Suche nach eim Psychiater für ein Psychiatrisches Gutachten zur Urteilsfähigkeit ist es oft nicht leicht oder genauso schwer wie einen Arzt zu finden der einem die Ärztliche Sterbehilfe zuteil werden lassen will oder kann. Mit dem 'kann' geht es um die Ethisch Moralische Seite.
Und im Dialog und im Erstkontakt geht es um Empathie (bitte lesen Sie hierzu den Artikel "Empathie ist wichtig - Mitgefühl und Mitleid hat wenig oder keinen Platz").
Da wie gesagt es ohnehin schwer ist jemanden zu finden für die Sterbehilfe - ist ein gangbarer Weg, im Bedarfsfall einen Psychiater um ein Psychiatrisches Gutachten über Urteilsfähigkeit für eine Patientenverfügung zu bitten - wie in einem anderen Artikel hier auf meinem Blog beschrieben ist für die Erstellung einer Patientenverfügung ebenso im Zweifelsfall (Krankheitsbild/-historie) genau solch ein psychiatrisches Gutachten über Urteilsfähigkeit ebenfalls notwendig. 
Da in beiden Fällen das Gutachten die Urteilsfähigkeit (Einsichtsfähigkeit und Willensfähigkeit ) begutachten soll - ist die Verwendung für eine Verfügung über das eigene Leben. Sterben und Tod.


Typische Inhalte eines psychiatrischen Gutachtens

Ein psychiatrisches Gutachten besteht in der Regel aus einer eingehenden Untersuchung des Betroffenen, die gegebenenfalls durch weitere Diagnostik und Analyse untermauert wird. Nach der Untersuchung erstellt der Gutachter ein schriftliches Dokument, in dem die Ergebnisse und die Antworten auf die gestellten Fragestellungen dargelegt sind. Typische Inhalte eines psychiatrischen Gutachtens sind folgende:

  • Persönlichen und sozialen Situation der Patientin / des Patienten.
  • Erfassung und Beschreibung des bisherigen Krankheitsverlaufs, Ergebnisse klinischer Untersuchungen und ggf. vorausgegangener Diagnosen und Therapieversuche. ggf. einschließlich weiterer Befunderhebung. Sowie Toxikologische Befunde, sofern dies für die Fragestellung relevant ist.
  • Zusammenfassung und Bewertung von vorliegenden medizinischen Berichten und Arztbriefen.
  • Explizite Stellungnahme zur Urteilsfähigkeit eine Handlung wie einem Freitod, deren Folgen irreversibel sind.

Folgende Aspekte werden bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit herangezogen / beachtet:

  • Überprüfung der Einsichtsfähigkeit
  • Überprüfung der Willensfähigkeit 

Zu beurteilen sind nicht die Einsicht und der Wille, sondern die Fähigkeit zur Einsicht und die Fähigkeit zur Willensbildung, und zwar nur mit Bezug auf eine psychischen Störungen

Der psychiatrische Gutachter ermöglicht mit der Bejahung der Urteilsfähigkeit eine Handlung, deren Folgen irreversibel sind, wie in unserem Fall einem Sterbewunsch / Freitod.

Aus diesem Grund der / die Arzt*in, Psychiater*in und jeder Helfer die höchste Sicherheit haben, dass der Sterbewillige auch in Zukunft seinen Entschluss und seine Handlung nicht bereuen würde und dass diese auch von seiner Familie, Umgebung nicht als voreilig und oder unvernünftig bewertet werden wird.


Kriterien eines psychiatrischen Gutachtens auf Urteilsfähigkeit

Kriterien an denen sich die Beurteilung entscheidet, wären:

  1. Fähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen.
  2. Fähigkeit, die Information in rationaler Weise zu verarbeiten.
  3. Fähigkeit, die Information angemessen zu bewerten.
  4. Fähigkeit, den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Information zu bestimmen und zu äussern.

Zu Punkt 1  "Fähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen." - Mit Verstehen ist das intellektuelle Erfassen gemeint

  • Ein hinreichendes Verstehen ist ausgeschlossen bei:
    • örtlicher und situativer Desorientiertheit;
    • hochgradiger Merkfähigkeitsstörung (Sekundengedächtnis);
    • hochgradiger Gedächtnisstörung;
    • ausgeprägter Aufmerksamkeitsstörung;
    • Störungen der Bewusstseinshelligkeit in der Aufklärungssituation;
    • krankheitsbedingt fehlender oder völlig fehlgehender Wahrnehmung der eigenen Krankheit 
  • Hinreichendes Verstehen ist fraglich und genauer zu prüfen bei:
    • leichteren zeitlichen Orientierungsstörungen
    • ausgeprägter Müdigkeit bis zur Somnolenz
    • psychotisch bedingten Konzentrations- und Auffassungsstörungen (depressiv, manisch, schizophren) 

Zu Punkt 2 - Rationale Verarbeitung meint die Fähigkeit, positive und negative Aspekte von Alternativen und Entscheidungen abzuwägen, zu bewerten und damit ein - oder ausschließen zu können

  • Eine Rationale Verarbeitung ist ausgeschlossen bei:
    • hochgradiger affektiver Einseitiger Sichtweise und Beurteilung (Panik, psychotische Angst, psychotisches Misstrauen, ...)
    • wahnhafter Verarbeitung der gegebenen Informationen (bei schizophrenen Erkrankungen, depressivem Wahn, ...).

  • Rationale Verarbeitung ist fraglich und genauer zu prüfen bei:
    • massiver, nicht psychotischer akuter Verleugnung oder Bagatellisierung der eigenen Krankheit oder Situation;
    • Labilität, Oberflächlichkeit, depressiven, missmutigen, euphorischen, misstrauischen, oder zornigen Verstimmungen.


Zu Punkt 3 - Die Fähigkeit zu werten meint die subjektive Wertung im Hinblick auf Werte, Zusammenhänge und Zukunftsziele

  • Diese Fähigkeit zu  subjektive Wertung ist fraglich, wenn:
    • der Patient vertraute Personen nicht erkennt
    • der Patient keinen Zugang zu den emotionalen Aspekten zum Freitod und der zu treffenden Entscheidung hat (Euphorie, Parathymie, Affektstarre, krankhafte Unernsthaftigkeit wie z.B. Sarkasmus oder Ironie);
    • der Patient keinen Zugang zu den persönlichen Bedeutung und Auswirkung der zu treffenden Entscheidung in unserem Fall zum Sterben und dem Tod hat;
    • der Patient über keine verknüpft; zielgerichtet, situative zeitliche Zuordnungsstruktur verfügt.
  • Die Unfähigkeit zu subjektiver Wertung kommt vor, vor allem bei
    • hirnlokalen Psychosyndromen
    • starker affektiver Wesensänderung
    • bei starken geistiger Behinderung
    • bei psychotischen, schweren Persönlichkeitsstörungen

Zu Punkt 4 - Die Willensfähigkeit meint die Fähigkeit zur autonomen Umsetzung von Überlegung in Handlung und Entscheidungen

  • Sie ist eingeschränkt oder aufgehoben z.B. bei 
    • Stuporzuständen - Starrezustand des ganzen Körpers bei wachem Bewusstsein
    • hochgradiger Ambivalenz bei Psychose- oder Zwangskranken
    • Antriebshemmung bei Depressionen
    • manischen Zuständen mit Flüchtigkeit von Willensbildungen







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