Gedanken zur Lebenssattheit - „Menschsein“ und "Leben" vs "Existieren"

Ich gestehe ich habe den Faust ohne schulischen Druck gelesen und genossen. Und beginne diesen Artikel mit einem Zitat - als Goethe seinen Faust sagen lässt ...
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andere hebt gewaltsam sich vom Dust; Zu den Gefilden hoher Ahnen
... und für mich offenbart sich das Dilemma von „Menschsein“ und "Leben" vs "Existieren" mit Würde und Gefühl..

Wir können und sollten uns über unsere Schwächen und Stärken, die Täler und Höhen des Lebens, die wie Ebbe und Flut sich oft anziehen, einhergehend mit Sog und Dynamiken und Kräften die auf uns und unser Umfeld einwirken, gewahr werden und gleichzeitig Verantwortung übernehmen und selbstbestimmt, eigenverantwortlich Dinge überdenken, planen und handeln.
Es ist unsere Entscheidung, was wir denken und wie wir handeln - in allen Konsequenzen und mit diesen.
Es liegt an und in uns, ob wir uns für das Gute und Schöne, oder aber für das Schlechte und Hässliche entscheiden, oder aber dass wir Schmerz und Leid akzeptieren oder eine Konsequenz wollen und wählen um eine nicht so auf der Hand liegenden Entscheidung zu kommen und diese auch mit ggf. ultimativen Auswirkung, Ergebnis, Folge, Wirkung und Resultat so und nicht anders wollen.

Daran kann ich nicht oft genug erinnert werden, denn allzu gerne lassen wir uns ablenken und verlieren den Blick für das Ganze, oder lassen uns von außen leiten, folgen etwas was uns selber so sehr widerspricht und uns Würde nimmt..
Denkanstöße helfen uns, eigene Handlungen und Werte zu überprüfen, uns in Frage zu stellen, uns zu überdenken und möglicherweise zu ändern.
Haben wir die richtigen Ziele?
Leben wir das, wofür wir auf moralisch-theoretischer Ebene stehen?
Was sind unsere Motive, was treibt uns, oder gar wer treibt uns an oder zu etwas?

Wir treffen unsere Entscheidungen, dass wünsche ich jedem, im Angesicht der Optionen und Varianten und Möglichkeiten, der beiden Aspekte von Gut und Böse; unsere Gedanken und Gefühle sind stets von einer dieser Alternativen, Triebfedern und Qualitäten getragen.
Das bedeutet Bürde und Freiheit zugleich: Wir können uns entscheiden, welche Qualitäten wir nähren wollen, welchen Weg wir gehen wollen, oder eben nicht.
Die Veranlagung ist in uns, als Stoiker mag ich es da etwas einfacher haben, ob wir sie gebrauchen, liegt an uns. Das vermeintlich Dunkle und Böse hat dabei seine Berechtigung und ist das Fundament für das Gute und Schöne - Licht und Schatten - Ebbe Und Flut ... Sein und Sein wollen - am Ende und hoffentlich aber auch schon am Anfang brauchen und wollen wir doch alle Balance.
Es geht daher nicht um Ausgrenzung und Verdrängung des dunklen Aspektes in uns, sondern um Integration und um Überwindung. Es braucht die Dunkelheit, um das Licht wirklich wahrnehmen zu können.


Diese Gedanken führen mich zur Lebenssattheit

Lebenssattheit ist individuell. Aber es in den Worten meiner Frau zu sagen: "Ich habe viel, sehr viel in meinem Leben erlebt, ich liebe das Leben - aber Existieren ist nicht leben - und mein Leben is abgelebt.".
Die Menschen denen ich in den letzten jahren meine Unterstützung gegeben hatte, die mir zeigten und mich lesen ließen wie ernst durchdacht, wie gut und intensiv abgewogen deren Entschluss ist, die mir Dinge sagten wie:
"‚Ich habe ein tolles Leben gehabt. Aber jetzt möchte ich nicht mehr. Ich möchte auch nicht in ein Heim oder Hospiz."
Das Leben ist kostbar ja und in jedem Fall, jeder hat nur eines davon und jeder nur das seine, aber genau deshalb kann auch nur die / der Betroffene einen Entschluss fällen und Hilfe dazu erbeten und erhalten wenn Helfer*innen dies auch können und wollen.
Die Gespräche, die ich geführt habe, das war alles so individuell. Nachahmungseffekte, wie sie die Hardliner aus Religionsgruppen, Diktierende aus konservativen Kreisen und damit Politiker es sehen wollen und konstruieren, sehe ich so nicht.

Die Entwicklung und Umsetzung von Gedanken zum Lebensende und Sterben ist im Kontext der Beziehungen zur sozialen Umwelt zu betrachten. Dabei spielen Isolation und Einsamkeit sowie die Überzeugung, nicht mehr dazuzugehören, bilden ebenfalls Faktoren für Überlegungen und müssen und sollen dazugehören, es gehört zu einer ganzheitlichen Betrachtung - aber wie es die Politiker des restriktiven Entwurf tun, nämlich den Menschen solche Empfindungen nicht zuzugestehen, unter Strafe zu stellen die Planung, Information und Durchführung einer Hilfe zu einem wohlerwogenen und würdevollen Sterben ist nicht nachvollziehbar.
Erschöpfung, Lebensmüdigkeit (nicht Lebensmüde aber dem Leben müde) und Lebenssattheit betreffen vor allem Menschen im höheren Alter, Menschen mit chronisch-fortschreitenden, symptomreichen oder sogar zum Tode führenden Erkrankungen.

Aus meinen Mitschriften und Recordings die ich immer anfertigte, ist unzweifelhaft und offensichtlich, dass diese Menschen voll urteils- und entscheidungsfähig sind, mir war und ist es ein wesentlicher Aspekt ,d ass kein Anhaltspunkte für eine aktuelle Depression oder Ähnlichem zu erahnen oder erkenn bar war - dies tun auch alle anderen Helfer und Sterbehilfevereine sehr gewissenhaft. Diese Sterbewilligen haben sich auch mit den medizinisch-pflegerischen Alternativen auseinandergesetzt, was jedem Helfer ebenso sehr wichtig ist, um die Ernsthaftigkeit und Wohlerwogenheit stichhaltig zu erkennen. Diese sterbewilligen Menschen dachten und handelten, denken und handeln völlig rational, sodass es sich verbietet, dieses Verhalten zu psychiatrisieren.


Noch ein Schlusswort zu Pflegeeinrichtungen, Palliativpflege und Hospiz

Ich bin überaus dafür, dass sich in den Heimen die Zustände verbessern, wie ich in früheren Artikel bereits dargelegt habe zur Pflegeeinrichtungen und Pflegeangebote und auch zu Palliativpflege und Hospiz. Aber die Rahmenbedingungen und die Situation sind so, wie sie sind - und müssen doable am Ende sein für Helfer, Pflegekräfte, Zupflegende und Alte.
Aus meiner Sicht muss man die Entscheidung der Menschen zwingend respektieren, die sagen: ‚Ich will nicht mehr und ich will auch nicht in ein Heim oder eine andere Einrichtung‘.
Im Übrigen sieht man in Ländern wo die Sterbehilfe schon lange erlaubt ist, dass es da keinen Dammbruch gab und die Zahl der Sterbewilligen auch bei Pflegebedürftigen nicht steil angestiegen ist. Die meisten Menschen hängen am Leben.


Und ein Schlusswort zum Urteil des Bundesverfassungsgericht und zu Zahlen zum Sterbegrund Lebenssattheit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts legte keine Kriterien für den Sterbewunsch fest, wofür wir alle sehr dankbar sein können, da die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Damit kann jede/r eine Freitodbegleitung in Anspruch nehmen, dessen Freitod- Sterbewunsch-Entscheidung tatsächlich dem freien und wohlerwogenen Willen des Betroffenen entspricht. Wenn ein Mensch, so nennt es das Gericht, "lebenssatt" ist, reicht das aus. Faktisch ist es so, dass die Sterbehilfevereine angeben, für das Jahr 2022, drei Menschen ohne Erkrankung eine Freitodbegleitung in Anspruch genommen haben - Artikel zu Zahlen zur Sterbehilfe





Comments

  1. Kommentare sind willkommen, auch wenn ich keine publiziere. Lesen tue ich diese immer und gehe nach Möglichkeit darauf ein, Danke.

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