„Grünes Licht“ und der letzte Weg - Zwischen Verantwortung, Mitgefühl und Gesetz
Es ist kein leichter Weg, den der Regisseur Pavel Cuzuioc in seinem Dokumentarfilm „Grünes Licht“ beschreitet. Und es ist erst recht kein leichter Weg für jene Menschen, denen der Film begegnet: Menschen, die seit Jahren mit schwersten körperlichen oder psychischen Erkrankungen leben, deren Leid kaum noch zu ertragen ist und für die jede Hoffnung auf Besserung längst verloren scheint. Im Zentrum des Films steht ein Mann, auf dem für viele dieser Menschen die letzte Hoffnung ruhte Dr. Johann Spittler. Dr. Spittler führt Gespräche mit Menschen, die einen assistierten Sterbehilfe erwägen oder diesen bereits entschieden haben. In Zusammenarbeit mit Sterbehilfe-Organisationen in der Schweiz und Deutschland erstellt er Gutachten, prüft die Entscheidungsfähigkeit der Betroffenen und begleitet sie – wenn alle Voraussetzungen erfüllt scheinen – bis zum selbst gewählten Tod.
Nähe ohne Voyeurismus
Cuzuioc folgt Spittler mit großer Zurückhaltung. Die Kamera drängt sich nie auf, sie beobachtet ruhig und präzise. Diese formale Zurückhaltung eröffnet einen Raum, in dem intime, existenzielle Gespräche möglich werden – Gespräche voller Zweifel, Angst und Verzweiflung, deren Intensität dem Publikum oft den Atem stocken lässt. Der Film verzichtet konsequent auf Effekthascherei. Es gibt keine dramatische Musik, keine Kommentare, keine moralischen Bewertungen. Stattdessen bleibt Zeit: Zeit für Fragen, für Pausen, für Unsicherheiten. Gerade dadurch entsteht eine Nähe, die nicht voyeuristisch wirkt, sondern respektvoll.
Wohltuend ist die Akribie, mit der Spittler arbeitet. Er erklärt, wägt ab, fragt nach – ruhig, geduldig, manchmal beinahe beharrlich. Ein von ihm entwickeltes Programm hilft ihm, Aussagen zu erfassen, zu systematisieren und einzuordnen. In seinem Vorgehen zeigt sich die jahrzehntelange Erfahrung eines Arztes, der sich der Tragweite seiner Entscheidungen bewusst ist. (Anmerkung von mir, wegen seiner Akribie war ich letztlich über das Urteil gegen Dr. Spittler auch so erschreckt) Nur selten bricht die Fassade des kontrollierten Wissenschaftlers. In einigen Momenten wird spürbar, wie groß der innere Druck und die Verantwortung sind, die er trägt (auch darauf weise ich in meinen Artikel immer wieder hin, wie Groß das ist, was Helfende bei der Sterbehilfe zukommt und nach dem Versterben getragen werden muss). Dann öffnet sich für einen Augenblick der Blick auf die seelische Belastung eines Mannes, der sich täglich mit Grenzsituationen konfrontiert sieht – und der dennoch weitermacht.
Autonomie und ihre Grenzen
„Grünes Licht“ stellt eine der schwierigsten Fragen unserer Gesellschaft: Wann ist eine Entscheidung wirklich selbstbestimmt? Besonders bei Menschen mit psychischen Erkrankungen sind Begriffe wie Einsichts- und Urteilsfähigkeit schwer eindeutig zu fassen. Genau hier zeigt sich ein zentrales Dilemma: Das Recht auf Selbstbestimmung steht in Spannung zur Pflicht, Menschen zu schützen.
Der Film gibt darauf keine einfachen Antworten. Er zeigt vielmehr, wie fragil Autonomie sein kann, wie sehr sie von sozialen, medizinischen und emotionalen Bedingungen abhängt – und wie gefährlich es wäre, Leid zu ignorieren oder zu vereinfachen.
Ein politischer und gesellschaftlicher Film
Obwohl der Tod ständig präsent ist, zeigt der Film ihn nie. Selbst in einer Vortragsszene, in der Spittler Abläufe erklärt, blendet der Film aus, bevor der letzte Schritt sichtbar wird. Diese Entscheidung unterstreicht den Respekt vor den Betroffenen – und lenkt den Fokus auf das, worum es wirklich geht: um Verantwortung, Begleitung und gesellschaftliche Rahmenbedingungen.
„Grünes Licht“ feierte seine Weltpremiere beim Filmfestival von Locarno in der Sektion Settimana della critica. Die Deutschlandpremiere fand im November 2025 beim Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest statt. Dort sah auch Dr. Spittler selbst den Film erstmals – während eines Freigangs.
Ein bitterer Kontext
Denn kurz vor der Premiere in Locarno wurde Dr. Johann Spittler zu Haft wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verurteilt. Das Urteil macht ein grundlegendes Missverhältnis in der deutschen Rechtsprechung sichtbar: Gerade im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen fehlen klare, praktikable Regelungen, die sowohl Selbstbestimmung als auch Schutz gewährleisten.
Der Film wird so zu mehr als einem Porträt. Er wird zu einem Appell ...
die Debatte über selbstbestimmtes Sterben neu und differenziert zu führen – mit Blick auf das Leid der Betroffenen, aber auch auf die Verantwortung der Helfenden.
Schlussbemerkung
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Dr. Johann Spittler derzeit in Haft ist, weil er versuchte, leidenden Menschen zu helfen, dabei jedoch aus Mitgefühl oder auch Mitleid handelte. Sein Fall wirft drängende Fragen auf – nicht nur über individuelles Handeln, sondern über die Verantwortung einer Gesellschaft, die Leid anerkennt, aber rechtlich oft unzureichend darauf reagiert.
„Grünes Licht“ ist damit ein Film, der nicht beruhigt, sondern wachhält. Und der eine Diskussion anstößt, die längst überfällig ist.
Da Grünes Licht noch sehr jung ist (2025-Produktionsjahr) und gerade Festival-/Arthaus-Runden dreht, ich konnte ihn gestern sehen, ist er aktuell weder als Streaming- noch als DVD-Veröffentlichungen verfügbar.
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