Urteil gegen Dr.Spittler - Prinzipien der Freiverantwortlichkeit in der Sterbehilfe bei psychisch erkrankten Menschen
Der Fall: Eine Gratwanderung zwischen Mitleid und Recht
Dr. Johann Spittler, ein renommierter Facharzt, der schon seit Jahrzehnten Sterbewillige begleitet hatte, engagierte sich leidenschaftlich und mit hohem ethischen Anspruch in der Sterbehilfe. Dies will ich ganz kalr herausstellen.
In einem aufsehenerregenden Fall wurde er dennoch zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen „Totschlags in mittelbarer Täterschaft“ verurteilt.
Er hatte einem 42-jährigen Mann, der an paranoider Schizophrenie und Depression litt, beim Sterben geholfen. Das Landgericht Essen – und damit auch später der BGH – urteilte jedoch, dass die Entscheidung des Patienten nicht als freiverantwortlich angesehen werden konnte, da seine psychische Erkrankung seine Willensbildung maßgeblich beeinflusst habe.
Dr. Spittler betonte und belegt, dass er den Sterbewunsch intensiv geprüft und über Monate hinweg Gespräche mit dem Patienten sowie dessen Mutter geführt habe. Für ihn war der Wunsch des 42-Jährigen Ausdruck eines freien Willens.
Doch das Gericht kam zur gegenteiligen Auffassung: Die tiefe psychische Beeinträchtigung des Mannes habe eine selbstbestimmte Entscheidung verhindert, sodass das notwendige Fundament für eine rechtlich zulässige Sterbehilfe gefehlt habe. Dies bedauere ich sehr und kann dem Gericht nur in Teilen folgen.
Hier aber, zum nachlesen, der Beschluss vom 29. Januar 2025 - 4 StR 265/24 - Erscheinungsdatum 28.04.2025 in der Zusammenfassung:
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen verworfen, mit dem dieser wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist.
Nach den Urteilsfeststellungen leistete der Angeklagte, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, dem Geschädigten am 31. August 2020 Suizidhilfe, obwohl er erkannt hatte, dass dessen Selbsttötungsentscheidung durch eine akute psychische Erkrankung krankheitswertig beeinträchtigt und daher nicht freiverantwortlich war.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Und hier der 16 seitige Beschluss als PDF sehr lesenswert um auf einer guten Basis einen gesamt Eindruck zu bekommen.
Ein ethisch anspruchsvoller Balanceakt
Die Diskussion um Sterbehilfe ist nicht ohne Grund eines der schwierigsten Themen in der gesellschaftlichen und persönlichen Haltung, Ethik und Recht.
Denn auf der einen Seite steht das unbedingte Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung, das auch das Recht einschließt, das eigene Leben in Würde zu beenden. Dieses Recht wurde vom Bundesverfassungsgericht noch einmal unterstrichen, als es im Jahr 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung kippte (§ 217 StGB a.F.).
Auf der anderen Seite steht der Schutz von Menschen, deren Entscheidungsfähigkeit durch schwere psychische oder körperliche Beeinträchtigungen eingeschränkt sein kann.
Das Prinzip der Freiverantwortlichkeit ist dabei von zentraler Bedeutung. Der Sterbewunsch muss das Ergebnis eines authentischen, wohlerwogenen und langfristig stabilen Entscheidungsprozesses sein – und eben nicht und darf nicht das Produkt krankheitsbedingter Einschränkungen oder eine Kurzschlussreaktion aus einer akuten Lebenskrise heraus.
Gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist dieser Grundsatz besonders anspruchsvoll zu prüfen, da ihre Willens- und Urteilsfähigkeit durch die Krankheit temporär oder anhaltend getrübt sein kann.
Jede*r von uns, die Gesellschaft und Mediziner tragen besondere Verantwortung
Das Urteil verdeutlicht, wie hoch die Anforderungen an die Sterbehilfe gerade in solchen Konstellationen sind.
Es ist Ausdruck der Verantwortung unserer Gesellschaft, sicherzustellen, dass Entscheidungen über Leben und Tod nicht in Momenten seelischer Überforderung gefällt werden, sondern ein klarer, belastbarer Wille vorliegt. Ärzte wie Dr. Spittler, die sich für die Würde und Selbstbestimmung von Sterbewilligen einsetzen, verdienen dabei grundsätzlich Anerkennung für ihr Engagement, stoßen jedoch an die Grenzen eines komplexen ethischen und rechtlichen Regelwerks.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Rolle psychischer Erkrankungen bei der Willensbildung noch stärker in den Fokus rücken muss. Gutachter und Ärzte tragen hier eine immense Verantwortung. Intensive Gespräche und wiederholte Prüfungen sind notwendig, um sicherzustellen, ob der Wunsch wirklich dauerhaft und wohlerwogen ist. Nur dann ist gewährleistet, dass die Sterbehilfe tatsächlich der selbstbestimmten Würde des Menschen dient – und nicht dem Ausweg aus einer krankheitsbedingten Hoffnungslosigkeit.
Ein wohlwollender Blick auf die Sterbehilfe – unter strengen Bedingungen
Das Urteil gegen Dr. Spittler wirft auch zwangsläufig die Frage auf, wie gerade für Personen mit psychischen Erkrankungen ein Rahmen geschaffen werden kann, der ihrem Recht auf Autonomie gerecht wird, sie dabei aber zugleich vor vorschnellen Entscheidungen schützt.
Die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, die den Sterbewunsch eines Menschen mit Respekt begegnen, ohne aber die Prinzipien der Sorgfalt und der Freiverantwortlichkeit zu vernachlässigen. (Siehe hierzu auch den Artikel: Freiverantwortlichkeit und assistierte Sterbehilfe psychisch Erkrankter: Für eine humane und sensible Begleitung)
Die positive Haltung gegenüber einer gut regulierten Sterbehilfe bleibt in all dem Kern des Fortschritts: Sie erlaubt es, leidenden Menschen in aussichtslosen Situationen Hilfe zu leisten – ein Ausdruck von Mitgefühl in einer zerrissenen Welt. Doch zugleich darf dies nie losgelöst sein von einer detaillierten Untersuchung der Entscheidungsfähigkeit.
Schlussgedanke
Freiverantwortlichkeit, Dauerhaftigkeit und Wohlerwogenheit bleiben der Schlüssel, um Sterbehilfe in einem wohlwollenden und verantwortungsvollen Rahmen zu ermöglichen – auch im Spannungsfeld psychischer Erkrankungen.
Das Urteil gegen Dr. Spittler zeigt, dass Mitgefühl oder gar Mitleid allein, so edel es ist und oder auch sein mag, nicht ausreicht, um der ethischen und rechtlichen Dimension der Sterbehilfe gerecht zu werden.
In diesem Kontext:
Meine früheren Artikel zu Dr.SpittlerSiehe auch den Artikel - Empathie ist wichtig - Mitgefühl und Mitleid hat wenig oder keinen Platz
Mehrheit befinden Sterbehilfe als gut! Sorgen, Ängste, Emotionen und Empathie
Neuauflage eines § 217 StGB - Nicht Notwendig - Nicht Zielführend
Informationen, Filme, Video, Audio und mehr zum Thema Sterbehilfe und würdigem Sterben
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