Freiverantwortlichkeit und assistierte Sterbehilfe psychisch Erkrankter: Für eine humane und sensible Begleitung

Diese Gedanken beziehen sich insbesondere auf die aktuellsten Diskussionen und blicken zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 und die darin benannten Kriterien zur Freiverantwortlichkeit in der Entscheidung zum Freitod sowie auf die Verfahren gegen die beiden Ärzte Dr. Spittler und Dr. Turowski.

Ich möchte heute eingehen auf ...

  • die Komplexität der Freiverantwortlichkeit
  • Freiverantwortlichkeit bei psychisch Kranken
  • Gesellschaftliche und soziale Aspekte
  • Perspektivwechsel und Lösungsansätze

Ich habe kein Studium eines psychologischen Fachgebiets absolviert, aber ich bemühe mich, mich in meiner Arbeit in und um die mentale Gesundheit bestmöglich weiterzubilden. Besonders intensiv beschäftige ich mich mit Themen wie Depression, Zwangserkrankung, generalisierter Angststörung, sozialer Phobie, bipolaren Störungen und Suizidgedanken. Ich mache mir viele Gedanken zu den zentralen Aspekten der Freiverantwortlichkeit und der Begleitung psychisch kranker Menschen in ihrem Wunsch nach einem assistierten Sterben. 


Die Komplexität der Freiverantwortlichkeit

In meinen Bemühungen und meiner Arbeit habe ich festgestellt, dass die Diskussion um das assistierte Sterben häufig von Ideologien und bevormundenden Bestrebungen geprägt ist. Ein gutes Beispiel dafür sind Gespräche, die ich mit Lars Castellucci und Ansgar Heveling geführt habe. Die Diskussion wird zunehmend abstrakt und theoretisch und entfernt sich von der Alltagsrealität des tatsächlichen Leidens der betroffenen Menschen. Dies gilt besonders für die Begriffe "freie Willensbildung" und "Willensfreiheit", die seit Jahrhunderten Gegenstand philosophischer Auseinandersetzungen sind und schwer eindeutig definierbar erscheinen. Insbesondere bei psychisch kranken Menschen bleibt die Feststellung, ob ihre Entscheidung zum Freitod freiverantwortlich ist, eine enorme Herausforderung.


Freiverantwortlichkeit bei psychisch Kranken

Die öffentliche Wahrnehmung psychiatrischer Erkrankungen, insbesondere der Depression, hat sich in den letzten Jahren dank prominenter Persönlichkeiten – Schauspieler, Comedians und Leistungssportler kommen mir in den Sinn – und durch Aufklärung stark erhöht. Depressionen werden als Hirnstoffwechselstörungen verstanden, die ein Ungleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn verursachen und durch Psychopharmaka behandelbar sind – auch ich gehe in meinen Vorträgen zur Suizidprävention darauf ein. Leider gibt es auch therapieresistente Fälle, die Patienten in dauerhaftes Leiden zwingen. Psychiatrische Erkrankungen gelten oft als primär psychisch, obwohl viele davon neurophysiologische Komponenten haben und somit das gleiche Anrecht auf Behandlungen oder auch auf Sterbehilfe haben sollten wie körperliche Erkrankungen mit  Krebs oder anderen Erkrankungen.

Es ist wichtig zu erkennen – und das vermittle ich, wo und wem ich kann –, dass jede Krankheit individuell und komplex ist. Der betroffene Mensch, der oft über Jahre hinweg mit belastenden Therapien und prekären finanziellen Lagen konfrontiert ist, ist der einzige, der wahrlich beurteilen kann, ob er sein Leiden noch länger ertragen kann.

Der tatsächliche Leidensdruck

Patienten, die sich für einen Freitod entscheiden, tun dies nicht aus einer Laune heraus, sondern weil ihr Leiden für sie unerträglich geworden ist. Das ist einer der Punkte, den Außenstehende, seien es Ärzte, Psychiater oder Pflegepersonal, nur schwer nachvollziehen können. Wie kann jemand, der den Patienten nur sporadisch begleitet, wirklich dessen Perspektive und seinen Leidensdruck verstehen? Es ist deshalb empfehlenswert, dass sich Freitodwillige vertrauensvoll an ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte wenden, wenn eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft erkennbar ist. In jedem Fall muss die Frage der Freiverantwortlichkeit aus der Perspektive des Patienten betrachtet werden. Als Berater konnte ich oft die Lebenssattheit meines Gegenübers direkt ansprechen und reflektieren, was in vielen Fällen dazu beitrug, dass sie ihren Sterbewunsch nicht realisieren mussten – davon gehe ich auch bei guten Hausärztinnen und Hausärzten aus.


Gesellschaftliche und soziale Aspekte

Die Patienten leiden oft nicht nur unter ihrer Krankheit, sondern auch unter den Anforderungen und dem Druck einer immer leistungsorientierteren Gesellschaft. Selbst einfachste alltägliche Aufgaben werden zu enormen Herausforderungen, die Stress auslösen und den Zustand der Patienten weiter verschlechtern. Hilfe in Anspruch zu nehmen, führt zudem oft zu Stigmatisierung und Scham. Die mentale Überforderung und das Gefühl des ständigen Scheiterns können den Wunsch nach einem Ende des Leidens verstärken.

Eine Nichtgleichbehandlung psychisch Erkrankter widerspricht dem Grundgesetz, das die Gleichheit vor dem Gesetz für alle Menschen fordert. Eine solche Diskriminierung hätte verheerende Folgen. Psychisch Kranke könnten aus Angst vor Ausschluss ihre Suizidgedanken verheimlichen, was zu einem Anstieg von gewaltsamen Suizidversuchen führen würde.

Ich hatte bereits oder verfolgte schon zahlreiche Kontroversen und Facharzdiskussionen

Psychisch Erkrankte werden von der DGPPN oft pauschal von der Inanspruchnahme assistierter Sterbehilfe ausgeschlossen oder mit sehr hohen Hürden belegt. Oft wird vorausgesetzt, dass sie alle Therapieoptionen ausgeschöpft haben müssen, was ihrer Selbstbestimmtheit widerspricht. Feststehende Freitodwünsche ernsthaft zu ignorieren und ständig zu pathologisieren, missachtet die Dauerhaftigkeit und innere Festigkeit dieser Wünsche als Kriterien der Freiverantwortlichkeit.


Perspektivwechsel und Lösungsansätze

Um die Zahl grausamer Suizide zu verringern, ist eine humane Lösung durch assistierte Sterbebegleitung erforderlich. Dies beginnt bei der Suizidprävention, die noch viel Ausbau und Förderung benötigt. Und dann auch dem Ausbau und Förderung der guten Alten- und Behinderten- und Krankenbetreuung und -versorgung (Artikel zur Pflegesituation)  - sowie Verbesserung der Palliativangebote und -versorgung und Hospizangebote. Und  der niedrigschwelligen, nicht-obligatorischen und ergebnisoffenen Beratung und der Bereitstellung von Medikamenten zur Freitodbegleitung. Ein Facharzt für Psychiatrie/Neurologie sollte in Zweifelsfällen, bei persönlicher Begegnung die Freiverantwortlichkeit des Freitodwilligen einschätzen. 

Ein Perspektivwechsel, der den Fokus auf die Sicht des Patienten legt und auf Ideologien und bevormundendes Denken verzichtet, könnte zu einer liberalisierten Sterbehilfe beitragen, die der Würde jedes Menschen gerecht wird. Dies gilt für alle Menschen, unabhängig von ihrer Erkrankung oder ihrem Leiden – und das ist mir besonders wichtig.


Schlussgedanken

Jeder Mensch hat das Recht, selbstbestimmt über sein Leben und Sterben zu entscheiden. Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es, alle Menschen – auch psychisch Kranke – mit Respekt, Empathie und einer auf Augenhöhe geführten Kommunikation zu begleiten. Möge die Würde und das Leid jedes Einzelnen stets im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.



In diesem Kontext:

Ich habe zum Thema Hilfe finden eine ganze Reihe Artikel geschrieben.
Auch zum Thema Gutachten und Psychiatrisches Gutachten finden Sie viele Informationen.

Sterbehilfe ist die ultimativste Hilfe die man von jemanden erbitten kann. Sterbehilfe ist in der Tat eine der schwierigsten und emotionalsten Entscheidungen, die jemand treffen kann, dies gilt zu gleichen Ausmaßen für die oder den Fragenden wie auch ebenso für die oder den Helfenden. Wer um Hilfe zum Sterben bittet muss dies wissen, erkennen und anerkennen

Wie man das Gespräch mit dem eigenen Arzt / Ärzten startet und führen kann - die Tipps hier und Hier mehr dazu.

Ansonsten kann ich nur auf meine Question und Answers Reihe hinweisen die viel Fragen und Themen behandeln die ich bekomme.


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