Sterbehilfe - Der Mensch ist immer mehr als die Krankheit

Ich habe in den letzten Monaten aus den verschiedensten Perspektiven die Sterbehilfe und die damit verbundene Freiverantwortlichkeit, Urteilsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Einwilligungsunfähigkeit recherchiert, für mich durchdacht, beleuchtet und beschrieben.

Ich habe oder musste den Artikel im Ärzteblatt lesen, sowie die Pressemitteilung des DGPPN - in beiden Publikationen vermisse in erster Linie über den Tellerrand schauende und interdisziplinäre Wissensverknüpfung - aber als Designer und Researcher habe ich lernen müssen, das viele Experten sich oft verrennen - und wie in diesen Publikationen - und damit oft vergessen für wen wir im Design und mehr noch in der Medizin arbeiten nicht für unseren Fachbereich oder das was wir gerne wollen sondern für Menschen, Menschen und deren Erwartungen, deren Nöte und deren Würde.

Es ist unzweifelhaft, dass die Fähigkeit zur Einwilligung, Urteilsvermögen etc. unabdingbar ist. Und in Deutschland wie in den meisten Ländern ist es so, dass Einwilligungsfähigkeit bei erwachsenen Patienten die Regel und die Unfähigkeit zur Einwilligung die Ausnahme ist. 
Was heißt, erst wenn die Ärztin, der Arzt konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass die Einwilligungsfähigkeit des / der Patient*in fehlen könnte, darf und muss diese geprüft werden. Es ist auch verständlich, dass in der oben genannten Pressemitteilung Herr Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) Sorgen äußert, und es ist so, dass Psychische Störungen (z. B. Demenz, Psychosen, Manien, etc.) Einfluss auf die Einwilligungsfähigkeit haben.
Als Laie bezweifle ich aber, dass das Vorliegen einer solchen Erkrankung und Beeinträchtigung aber für sich genommen kein Grund sein kann, dem betreffenden Menschen die Einwilligungsfähigkeit abzusprechen und solch ein Menschen (Zitat aus der Pressemitteilung) "muss zunächst im Gesundheitssystem versorgt werden". Dies ist überaus generalisierend und grenzüberschreitend, aus meiner Perspektive.
Nach meinem Verständnis müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten , welche dazu führen könnten oder würden, dass im Einzelfall die Fähigkeit zur Einwilligung, Entscheidung und Urteilsvermögen in Zweifel gezogen werden könnten oder können.

Auch wenn es Dritten und Ärzt*innen nicht mögen oder verstehen können, die Einwilligungsfähigkeit ist außerdem unabhängig davon, ob der Patient dem ärztlich vorgeschlagenen Vorgehen zustimmt oder nicht. Jeder Patient hat ein Recht auf „unvernünftige“ Entscheidungen - wenn man diese mit solche einem Adjektiv betiteln will.
Damit ist, meines Erachtens nach, die Urteilsfähigkeit hinsichtlich des eigenen Sterbewunsches bei Menschen mit psychischen Störungen nicht generell verneinbar. 

Aber es sollte nicht vergessen werden, die Freiverantwortlichkeit, Urteilsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Einwilligungsunfähigkeit, ist eine unabdingbare, notwendige Voraussetzung der straflosen Sterbehilfe, um so mehr auch bei Menschen mit psychischen Erkrankung und Beeinträchtigung. Dies ist, um nochmals die Pressemitteilung zu nennen, welche der Auslöser für diesen Artikel ist, ein juristische Begriff und weniger eines des 'Gesundheitssystem', um erneut die Pressemitteilung zu zitieren.  

Gänzlich wird weder von dem Präsident des DGPPN, noch von den Gesetzentwürfen, die wichtigen Elemente wie die Konstanz des Sterbewunsches berücksichtigt. Jeder Mensch kann autonome, dauerhafte und wohlerwogene Sterbewünsche haben - und wie kann man nur denken, dass dies bei Menschen mit psychischen Erkrankung und Beeinträchtigung anders wäre.
Diese sind, wenn ich die Fachliteratur nicht völlig fehlinterpretiert habe, nicht direkt im krankheitsbedingten Geschehen verwurzelt.

Ich erkenne an, dass die Differenzierung dieser Situationen sehr schwierig ist und sein kann. Und ja diese kann nicht ohne psychiatrisches Expertenwissen getroffen werden. Deshalb ist in Einzelfällen ein psychiatrisches Gutachten unumgänglich - zur Sicherheit aller Seiten.
Aber im Einzelfall, und nicht generalisiert wie in der genannten Pressemitteilung publiziert. 

Und Schlussgedanken, die mich umtreibt seit dem ich die Worte von von Herrn Meyer-Lindenberg, abgewogen habe, und versucht habe zu verstehen ist - Sehen Ärzte und insbesondere  aus dem Fachbereich Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde noch den Menschen oder nur noch die / den Kranken und die Krankheit? Wo bleibt der Mensch und die individuelle Würde?

Als Gesellschaft, als Arzt und Ärztin möchte man doch nah bei denen sein, die Hilfe brauchen - oder? In einer Krankheit kann man sich als Mensch verlieren - und ich habe den Eindruck viele Ärzte verlieren sich auch in Krankheiten und Symptomen.
Der Mensch ist aber IMMER mehr als seine Krankheit. Das zu spüren und zu erkennen, dabei sollten wir helfen - in der einen mit Suizidprävention - oder anderen Richtung mit Hilfe zu einem würdigen Freitod.

Mein Schlusszitat ist das des Präsidenten des BVerfGerichts in seiner einführenden Erklärung zur Urteilsverkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020, der sagte, ...

“... Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren …”



Artikel in diesem Kontext:

Suizid & Freitod - Unterschiedliche Worte, Anlässe und Unterschiedliche Bedeutungen

Einwilligungsfähigkeit, Einsichts- und Urteilsfähigkeit, und Freiverantwortlichkeit

Freiverantwortlichkeit - Einsichtsfähigkeit, Urteilsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit



Comments

  1. Ihre / Eure Kommentare sind willkommen. Ich lese diese, antworte bei Bedarf und Möglichkeit aber publiziere keine - aus verständlichen Gründen. Danke für Ihr / Euer Verständnis.

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