Die Würde des eigenen Abschieds: Heinz Mustermanns Weg zum selbstbestimmten Sterben - "Unabhängigkeit bis zuletzt"
In seiner gemütlichen Speyerer Wohnung empfängt mich Heinz Mustermann, ein Mann Mitte Achtzig - ich besuche ihn nun schon zum vierten Mal.
Zufriedenheit strahlt aus seinen Augen, während er sein erfülltes Leben Revue passieren lässt. Gesundheit, Familie, finanzielle Sicherheit – alles da. Und doch macht er sich keine Illusionen über die nächste Zeit und Jahre, den letzten Abschnitt seines Lebensweges.
Er erzählt mir von seinem Gesprächen mit seiner Ärztin, auch dass ein gemeinsamer Termin mit ihr und einem Psychiater stattgefunden hat. Er zeigt mir das Gutachten zur Herrn Mustermann's beginnenden Demenz und dass er zweifelsohne noch sehr gut selbstbestimmt und wohlerwogen Entscheidungen treffen kann.
In Zusammenarbeit mit seiner Ärztin hat er auch weitere Schritte und Vorkehrungen getroffen, auch mit Unterstützung von mir und einer Fachanwältin, um im Ernstfall durch seine vertraute Ärztin dann später einmal, ein todbringendes Medikament erhalten zu können. Aber letztlich musste er fast alles tun, seine Gedanken festigen, mit Hilfe einer seiner Töchter den Schriftkram machen - stolz betonte er, "Aber das meiste hab ich noch selber machen können."
„Es war ein unglaublich befreiendes Gefühl, fast wie ein neues Lebensgefühl, ein Gefühl der Befreiung“, vertraut er mir an. „Komisch, oder? Paradox, ich weiß ..." sagte er "... die Gewissheit, Hilfe beim Sterben zu bekommen, schenkt mir jedoch ein tiefes und gutes Gefühl von Freiheit.“
Er spricht von Menschen, in seiner Vergangenheit, er war bei der Bundesbahn, die aus Verzweiflung zu drastischen, „haarsträubenden“ Maßnahmen greifen. „Sich vor den Zug werfen, von der Brücke springen – das ist doch menschenunwürdig.“
Der Weg zu dieser Entscheidung war ein Prozess, der erst spät in Heinz Mustermanns Leben begann. Früher habe er sich nie mit dem Tod auseinandergesetzt, erzählt er. Doch im letzten Jahrzehnt konfrontierten ihn die Schicksale schwerkranker und dementer Menschen in seinem Umfeld. „Zutiefst erschütternde Erlebnisse“, die seinen Wunsch nach Selbstbestimmung verstärkten. „Autonomie bis zum Lebensende – das ist für mich untrennbar mit mir und meiner eigenen Menschenwürde verbunden. Ich möchte keine Pflegesituation, keine Abhängigkeit von anderen. Ich will nicht den Arsch geputzt bekommen“
Noch vor dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am 26. Februar 2020, welches das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufhob, wandte sich Mustermann an seine Ärztin, die ihm sagte ihr wären die Hände gebunden, sie würde Beruf und ggf. ins Gefängnis gehen, sie verwies in an die Schweizer Sterbehilfe, die er aber nicht wollte noch will.
Heinz sagt, er wäre noch im März nach dem Urteil wieder zu seiner Ärtztin gegangen, auch dann wollte sie ihm nicht helfen. Über Umwege schrieb er mich an und ich konnte der Ärztin eine Fachanwältin nennen die hochkompetent und aktuell informiert ist über das Recht zu Sterben, danach folgte noch ein weitere Gespräch und die Ärztin hat guten Gewissens Hein zugesichert zu helfen, wenn zweifelsfrei sicher ist, dass er diese Entscheidung fällen kann und will.
Es folgten noch umfassenden Beratungsgespräche. Mit dem nun vorliegenden psychiatrischen Gutachten, das die Entscheidungsfähigkeit des Sterbewilligen, von Heinz Mustermann bestätigt, sollen die nächsten Schritte gegangen werden und ein Heinz möchte einen Termin mit seiner Familie finden und festlegen.
Für Heinz gibt es keine Alternativen. Kein Pflegeheim, keine Pflege daheim, keine Palliativstation - dies alles hat er durchdacht und mehrfach abgewogen - und er will es einfach nicht.
„Das kam für mich nie in Frage.“ ... „Meinen Arsch wisch nur ich selber!“ (und lacht dabei) „Andere wollen, suchen und brauchen diese Plätze dringender, und denen will ich sie nicht wegnehmen“, bekräftigt er. "Ich bin dankbar so eine liebe Familie zu haben, und die Enkel sollen sich an mich als lachenden Opa erinnern."
Die Vorstellung, irgendwann von anderen, gar von seiner Familie abhängig zu sein, ist für Heinz Mustermann unerträglich. Mit seiner Frau und seinen Töchtern hat er seine Entscheidung ausführlich besprochen. Stolz sagt er mir und zeigt er mir wie er das Rädchen der Infusion öffnen kann, und strahlt dabei. „Wenn es soweit ist, wird es hart. Ich denke aber eher für meine Töchter, als für mich." "Ich bin dankbar, dass sie zu meiner Entscheidung stehen und mich unterstützen." Natürlich werde Trauer da sein, aber sie werde überstrahlt von Dankbarkeit für ein erfülltes Leben. „Das Leben war gut zu mir, zu meiner Frau und meiner Familie ...“, sagt er mit einem Lächeln, „ ... ich bin dir unendlich dankbar – Dankbar für mein Leben“ „Stolz und Dankbar für meine Familie“
Hinweis ...
Selbstredend ist der Name Heinz Mustermann ein Pseudonym, Name ist in Absprache mit dem Sterbewilligen geändert.
Weitere Fälle von Sterbehilfe Beratungen und Begleitungen finden Sie unter diesem Link
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