Gedanken zum selbstbestimmten Sterben

Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 entschieden: 

Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
 

Der Paragraf 217 des Strafgesetzbuch, der von 2015 bis 2020, im Prinzip, Sterbehilfe in Deutschland völlig unmöglich machte,  verstößt gegen das Grundgesetz.

In den Jahren von 2015 bis 2020 sorgte der § 217 StGB dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch unmöglich war. Der Entschluss zur Selbsttötung ist in seiner Umsetzung an entscheidenden Stellen davon abhängig, dass Dritte bereit sind, Optionen und Hilfe zum Suizid zu gewähren, zu verschaffen und zu vermitteln. In rechtlicher Hinsicht müssten diese Dritten ihre Bereitschaft auch umsetzen dürfen, so auch das BVerfG. Die unter § 217 StGB verbliebenden Optionen aber waren nur noch eine theoretische, nicht eine echte Aussicht auf Selbstbestimmung.


Sterbehilfe in Deutschland: seit 2015 verboten – jetzt wieder erlaubt? ... JA!

Was sagte Paragraf 217 im Strafgesetzbuch aus? Der Paragraph setzt ein Verbot gegen den fachgerecht begleiteten Suizid in Deutschland – mit bis zu drei Jahren Haft als Konsequenz für die, die dagegen verstoßen - und dies war sehr leicht möglich - da  der sogenannte Wiederholungsfall den das Gesetz nannte, schon beim zweiten Fall zu einer Bestrafung führte.

Vielen Helfern und um so mehr Ärzten stieß das Gesetz vor allem wegen der Formulierung "geschäftsmäßig" sauer auf. Laien und Juristen würden im Regelfall es definieren, dass es hier um Geld geht, vielmehr ware es und ging es wie oben genannt, dass es "auf Wiederholung angelegt" war. So müsste sich jeder Palliativmediziner sorgen, sich strafbar zu machen, wenn Schwerkranken etwa Opiate zur Schmerzlinderung in potenziell tödlichen Dosen verschrieben würde – oder wenn sie einfach nur Menschen begleiten, die weder Essen noch Trinken zu sich nehmen wollen. Die reine Begleitung beim Sterben konnte demnach als "geschäftsmäßige" Sterbehilfe angesehen werden.

Der Paragraf 217 wollte verhindert werden, dass Suizidhilfe-Vereine ihre Angebote ausweiten. Man wollte verhindern, dass die Suizidhilfe als "normale Behandlungsoption" in Betracht gezogen würde. 

Daher wurde 2015 Paragraph 217 auf den Weg gebracht, wörtlich: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Freigestellt durch den Paragraphen sind lediglich Angehörige und "Nahestehende".

Aber damals wie auch heute will glaube ich niemand, dass ein Freitod Normalität wird. Aber es soll normal sein darüber reden zu dürfen, und es sollte Normal werden es einem Anderen, der diesen aus dessen Sicht begründeten Wunsch auch helfen zu dürfen ohne jegliche Restriktionen befürchten zu müssen.

Wenn man sich den Gesetzentwurf der Politikergruppe Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) im Detail durchließt wird dort schon die Normalität des offen Umgang unterstrafe stehen sollen (man muss sich die Zeilen des Gesetzentwurfs nur genau einverleiben um dies herauszulesen) und auch die Hilfe selbst Angehöriger und "Nahestehender" soll eingeschränkt werden. 

Das Bundesverfassungsgericht hat nun sehr eindeutig ausgesagt: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben für Jeden.. Ausgenommen ist davon allerdings weiterhin die aktive Sterbehilfe, die Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze. Spricht ein totkranker Patient nun den Wunsch aus, seinem Leben ein Ende zu setzen, darf nur insofern assistiert werden, dass ihr oder ihm das potenziell tödliche Medikament zur eigenen Anwendung zur Verfügung gestellt wird oder eine Infusion anlegt die ein  tödliche Medikament beinhaltet. Eingenommen werden muss es selbstständig oder alternativ der Sterbewillige muss das Öffnen und Starten der Infusion selber vollziehen.

(In diesem Zusammenhang sollte man sich alle 3 Gesetzentwürfe ansehen und insbesondere den Gesetzentwurf der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke))



Selbstbestimmung

Bei der Sterbehilfe und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod geht es um persönliche Lebenssituationen und Lebensentscheidungen, von Menschen mit einer schweren Krankheit aber auch Menschen die für sich entschieden haben, dass sie ihr Leben so wie sie es leben müssen nicht weiter wollen.

Ich bin davon zum einen überzeugt das Leben einzigartig in seiner Lebensqualität, Lebenssinn und Lebensfreude ist - aber ich bin ebenso überzeugt dass es um Qualität und nicht Quantität des Lebens geht und nicht um nur um leben um zu leben. Sinn und Sinnleerheit wie auch Freude und Leid sind persönlich und können weder von einer Kirche, einem Therapeuten, oder irgendeinem Außenstehenden vorgegeben oder diktiert werden.

Meiner Meinung nach ist Sterbehilfe in bestimmten Fällen moralisch geboten wenn nicht sogar gefordert – und daher war es und ist es in meinen Augen auch mit dem Grundgesetz vereinbar und ich bin dankbar, dass unser Bundesverfassungsgericht dies nun auch unmissverständlich formuliert hat auch wenn es Politiker wie Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Kathrin Vogler (Linke) immer noch oder sogar verstärkter als zuvor im §217 anders sehen wollen. 


Sterben in Würde

Ich kenne viele Verfechter*innen der assistierten Sterbehilfe. Viele davon haben bis zuletzt oder liegen nur noch im Bett und oft unter starken Schmerzen auf den Tod wartend. Es ist Einzelpersonen aber auch Sterbehilfevereinen nach wie vor schwer einen Arzt zu finden, der die Sterbehilfe übernimmt - neben den Ethischen und Moralischen Bedenken jedes / jeder Helfer*in, die immer bleiben wird - ist zwar Sterbehilfe wieder erlaubt aber existieren unterschiedliche Landesärztekammer-Gesetze für deren Mitglieder und auch ist der rechtliche Rahmen wage da es nur nicht mehr verboten ist - aber eine eindeutige Erlaubnis nicht existiert und damit Unsicherheit entsteht.

Zurück zum Menschen der zum Beispiel bettlägerig ist und unter permanenten Schmerzen leidet. Wenn nun diese Menschen den Wunsch äußern- nicht mehr leiden zu wollen, nicht mehr nur noch zu existieren - und wegen ständige Schmerzen, keine Freude mehr am Leben am liebsten sterben zu wollen.


Seitenblick auf ein Interview mit Weihbischof Anton Losinger 

Ich kann nicht anders, für meine Meinungsbildung sehe und höre ich die mir unbekannten und auch oft unangenehmen Seiten an - wie zum Beispiel das Interview mit Weihbischof Anton Losinger.

Ich gebe dem Weihbischof Anton Losinger recht, dass all zu oft der Wunsch nach einem Freitod  auch als Hilferuf an die Gesellschaft gesehen werden kann oder auch ist. Besseres Lebensumfeld, bessere Betreuung, bessere soziale Einbindung und und und

Aber in diesen Worten im Interview gibt der Weihbischof Anton Losinger dem einzelnen Individuum keinen Raum - zwischen den Zeilen wird von Weihbischof Anton Losinger der Rahmen für Menschen, die sich für das Lebensende in einer eigenverantwortlichen Entscheidung wollen, eng gesetzt. Wenn der Weihbischof Anton Losinger in diesem Zusammenhang 1000 Ecken merkt und nennen kann - würde ich gerne auch nur 10% davon erfahren.


Oder viel mehr seine Stellungnahme hören, bei Aussagen wie ich sie von Sterbewilligen gesammelt habe ...

Ich kann mir nicht mehr selber die Nase putzen oder den Geifer vom Kinn wischen und jeden Tag muss ich mir von fremden Menschen meinen A… waschen lassen."

"Jeden Tag muss ich es ertragen, dass mich jemand an meinen intimsten Stellen berührt. Für mich ist dies wie eine täglich wiederkehrende Vergewaltigung."

"Das Einzige, was wirklich noch gut funktioniert bei mir, ist mein Gehirn. Aber ich bin gefangen - wie in einem Gefängnis - gefangen im eigenen  Körper. Der aber nicht mir gehört - weil Pfleger und Pflegerinnen und Ärzte daran rum manipulieren - jeden Tag, wieder und wieder. Ich will das nicht mehr!"

"Ich liege nur noch im Bett, Und schau Fernsehen - immer das selbe. Jeder Tag ist gleich und geht dahin. Warten auf Pflegerinnen, Therapeuten, oder Angehörige die 'freundlich gemeinte Worte wie gelernt abladen' - Nein darauf warte ich nicht! Ich warte auf friedliches, schmerzfreies und würdevolles Sterben wenn man mir dies erlaubt und ermöglicht."

"Ich wache am Morgen mit Schmerzen auf. Die Schmerzen sind immer da - mein steter Begleiter. Ich würde gerne den Schmerzen mit einem Lächeln den Rücken und das Leben den Rücken zudrehen können."

... würden dies Aussagen von Geistlichen wie Weihbischof Anton Losinger auch nur als Hilferuf verstanden werden?  Oder doch als Ruf nach Nächstenliebe oder einfach nur um menschlichen Beistand? - ich denke auch hier würden Kirchenvertreter nicht von deren 'vergeistigten Sicht' abweichen - das macht mich überaus traurig.



Bundestag Debatten zum Thema Sterbehilfe

Orientierungsdebatte - 1. Lesung im Bundestag zur Sterbe­hilfe

Debatte im Bundestag - Mai 2022

Debatte im Bundestag - April 2021


Verschiedene Artikel zur Freiheit, Selbstbestimmung, Freitod ...

Sendemitschnitt vom RBB - Lebenswelten - Schwerstkranke und Sterbende nicht alleine lassen

Debatte zum Thema Suizidhilfe & Gesetzentwürfe was sagen CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke; FDP, AfD zur Suizidhilfe ... Debatte vom April 2021

Hilfe zur Sterbebegleitung finden - Lebensbericht - Persönlicher Brief(e)

Patientenverfügungen - Vorsorgemappe

Suizid - Sterbehilfe und psychische Erkrankungen

Der Tod - Ein natürlicher Teil des Lebens - Wichtigkeit einer Patientenverfügung

Ärztliche Unterstützung bei Sterbehilfe

Sterbehilfe - Kritiker & Gegner

Sterbehilfe - Gesetzesentwürfe verschiedener Parteien

Polizeiliche Ermittlungen im Fall eines Freitodes

Sterbehilfe - Organisation, Hilfe finden, Kosten

Recht und Rechtslage auf selbstbestimmtes Sterben in Deutschland

Sterbefasten - FVNF - Freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit





 


Comments

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