Plädoyer für Selbstbestimmung und Menschenrechte - Ein Fall aus Lippstadt

Das Bild zeigt eine Aquarellszene mit einer Frau und einem Arzt in einem Gespräch. Der Arzt trägt einen weißen Kittel und ein Stethoskop, während der Hintergrund durch sanft verlaufende Blau- und Brauntöne gestaltet ist, die eine ruhige Atmosphäre schaffen.
Wenn religiöse Dogmen über medizinische Ethik und individuelle Selbstbestimmung gestellt werden, ist nicht nur das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Gefahr – sondern auch die Würde des Menschen.

Der Fall von Prof. Dr. Joachim Volz in Lippstadt ist ein Weckruf an Politik und Gesellschaft.

Seit dem 1. Februar 2025 gilt am Christlichen Klinikum Lippstadt ein pauschales Verbot für reguläre Schwangerschaftsabbrüche – selbst bei medizinischer Indikation. Betroffen ist nicht nur die stationäre Versorgung im Krankenhaus, sondern auch die Tätigkeit des Chefarztes Prof. Dr. Joachim Volz in seiner kassenärztlichen Praxis. Die katholischen Träger des Klinikums setzten diese Regelung im Zuge einer Fusion mit einem evangelischen Krankenhaus durch – als Bedingung für das wirtschaftliche Zusammengehen.


Ein Krankenhaus darf kein Ort der Bevormundung sein.

Es ist ein Fall, der tief in das Selbstverständnis eines säkularen Staates eingreift, wie ich es sehe. Prof. Volz klagt gegen das Verbot – und stellt damit eine grundsätzliche Frage:
Darf ein kirchlicher Arbeitgeber bestimmen, welche medizinischen Leistungen ein Arzt erbringen darf – selbst außerhalb des Klinikums, im Rahmen gesetzlich erlaubter und gesellschaftlich notwendiger Versorgung?

Die Antwort kann nur lauten: Nein.


Eingriff in die Berufsfreiheit – und in die Menschenrechte

Es geht um mehr als einen arbeitsrechtlichen Konflikt. Es geht um fundamentale Rechte – insbesondere um das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen und das Recht von Ärztinnen und Ärzten, ihrer Berufung und medizinischen Verantwortung zu folgen.
Schwangerschaftsabbrüche bei schwersten Fehlbildungen des Fötus oder nach Vergewaltigung zu verbieten, bedeutet für die betroffenen Frauen eine existenzielle Zumutung. Es ist ein Zwang zur Austragung, der der körperlichen und seelischen Gesundheit und Integrität widerspricht.

Dass ausgerechnet kirchliche Träger, die sich auf Barmherzigkeit, Menschenliebe und Nächstenliebe berufen, diesen Zwang institutionalisieren, offenbart, in meinen Augen, ein bedrückendes Bild:
Hier siegen 'Alte Weiße Männer' ein altes, überliefertes Dogma über Menschlichkeit.


Prof. Volz beschreibt in einem Interview mit Hellweg Radio, was dieser Konflikt in der Praxis bedeutet:

„Sie haben ein Ehepaar da, das sich auf eine Schwangerschaft freut. Ich muss ihnen sagen: Dieses Kind ist nicht lebensfähig. Und dann soll ich der Frau sagen, ‚geh mal woanders hin‘. Es ist wohl jedem verständlich, dass das so nicht gehen kann.“


Der Staat darf sich nicht hinter kirchlichen Strukturen verstecken

Die Finanzierung kirchlicher Krankenhäuser erfolgt zu großen Teilen aus öffentlichen Mitteln – aus Steuergeldern, aus Krankenkassenbeiträgen. Damit tragen Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – diese Einrichtungen mit. Die Trennung von Staat und Kirche ist kein Symbol, sondern Verfassungsprinzip. Und dieses Prinzip muss insbesondere dort verteidigt werden, wo der öffentliche Auftrag gefährdet ist.

Die aktuelle Situation in Lippstadt zeigt: Es braucht gesetzliche Nachbesserungen. Der Staat darf es nicht dulden, dass konfessionelle Träger faktisch das medizinische Leistungsangebot in einer ganzen Region einschränken. Wer medizinische Versorgung im Auftrag der Allgemeinheit übernimmt, muss sich an staatliche Vorgaben halten – nicht umgekehrt.


Ein Plädoyer für Frauen, Ärzt*innen – und die Freiheit

Dieser Fall könnte ein Präzedenzfall sein – nicht nur juristisch, sondern gesellschaftlich. Die Frage ist nicht, oder weniger, ob Prof. Volz seinen Job behält, das auch aber vielmehr ist es für mich - die Frage :

  • In welche und was für einem Land wollen wir sein und leben - menschlich und respektvoll zusammen leben?
  • Ein Land, in dem die persönliche Gewissensfreiheit der Frau und die medizinische Expertise ihrer Ärztin oder ihres Arztes geachtet werden?
  • Oder ein Land, in dem Kirchen- oder Glaubensgetrieben Institutionen definieren, was ein Mensch in Notlage darf – und was nicht?

Der Fall Volz zeigt den Mut eines Arztes, der sich nicht beugt – nicht einem starren System, nicht der Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes. Er steht für viele, die nicht die Mittel haben, vor Gericht zu ziehen. Für Frauen, die in einem ohnehin restriktiven Abtreibungsrecht zusätzlich durch kirchliche Machtstrukturen entrechtet werden. Für Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen, deren medizinisches Ethos beschnitten wird.

Ich liebe meinen Job und ich werde nicht aufgeben und weiter für die Frauen kämpfen. Weglaufen kommt nicht infrage.“ ... so Prof. Joachim Volz


Solidarität ist kein Luxus, sondern Pflicht

Rund 60 Ärztinnen und Ärzte aus Lippstadt haben sich mit einem offenen Brief solidarisch erklärt. Pro Choice Deutschland unterstützt den Rechtsweg von Prof. Volz. Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) begleitet das Verfahren – das möglicherweise bis vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof gehen wird. Diese breite Unterstützung zeigt: Der Fall betrifft uns alle.

Denn wo religiös motivierte Vorschriften das medizinische Handeln diktieren, geraten wir als Gesellschaft ins ethische Abseits. Wir erleben diese Einengung, Beschränkung und Eingriffe der Selbstbestimmung und Menschenrechte beim Entstehen des Leben bei Müttern, Eltern in diesem Fall und den Fällen von dem Lebensende von Menschen die würdig bis zu einem natürlichen Sterben deren Leben erleben wollen oder aber selbstbestimmt gehen wollen.


Fazit: Der Fall Lippstadt ist kein Einzelfall – sondern ein Symptom

Was in Lippstadt geschieht, kann überall geschehen. Wenn wir nicht klar Position beziehen, wenn wir nicht gesetzlich sichern, dass medizinische Versorgung auf medizinischen Standards basiert – und nicht auf Glaubenssätzen –, dann gefährden wir nicht nur die Versorgung, sondern auch unsere demokratische Ordnung. Eine demokratische Ordnung die von so vielen Interessengruppen in Gefahr gebracht wird.

Der Staat und wir als freiheitsliebende, demokratieliebende, Menschen die Vielfalt und Selbstbestimmung als Ziel haben, wir müssen handeln. Jetzt.
Und nicht erst, wenn noch mehr Menschen leiden müssen.

Selbstbestimmung ist kein Gnadenrecht – sondern ein Menschenrecht.


Ein letzter Hinweis

Gerichtsverfahren und Anwälte, auch die Organisation von Solidarität, kosten Geld. Pro Choice Deutschland e.V. unterstützt Prof. Volz auf seinem Weg, der nicht zuletzt auch klären soll, „ob eine solche frauenverachtende, menschenverachtende und verknöcherte Ideologie noch Bestand haben kann“ (Zitat Prof. Volz im Hellweg Radio). Spendenaufruf durch Pro Choice Deutschland e.V.



Quellen:

Hellweg Radio (22.04.2025)

Humanistischer Pressedienst (hpd.de)

Pro Choice Deutschland e.V.

Institut für Weltanschauungsrecht (ifw)

Stellungnahmen des Klinikums Lippstadt

Presseberichte (u.a. DocCheck, lokale Medien)


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