Neuregelung der Sterbehilfe in Österreich und was wir in Deutschland daraus lernen können
Meine Gedanken zur aktuellen Neuregelung der Sterbehilfe in Österreich - seit dem 1. Januar 2022 ist die Sterbehilfe in Österreich erlaubt, und auch das Sterbeverfügungsgesetz ( Sterbeverfügungsdgesetz - Bundesgesetz, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen und das Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert wurde ) trat mit diesem Tag in Kraft - und in diesem Zusammenhang die Überfälligkeit einer gesetzlichen Regelung in Deutschland. Und dies ist in Deutschland KEIN neues Thema seit der Jahrtausendwende 2000 / 2001 wird die Sterbehilfe im Bundestag debattiert, 2015 wurde ein Gesetz verabschiedet worüber das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Februar 2020 entschieden, dass dieses gegen das Grundgesetz verstößt und nichtig ist.
Grundsätzliche Gedanken zu Gesetzen, Recht und Gerechtigkeit
Gesetze kann man nicht und darf nicht man mit Gerechtigkeit gleichgesetzt werden. Dies ist eine Erkenntnis die ich in meinem Leben bislang gelernt habe.
Gesetze geben einer Gesellschaft Halt und versuchen eine ausgleichende Gerechtigkeit Raum und Rahmen zu geben, und damit Konflikte vermeiden - so würde ich es als Nicht-Jurist formulieren. Gerechtigkeit ist nun mal etwas was subjektives ist. Unter Gerechtigkeit verstehe ich moralisch begründete, akzeptierte und wirksame Verhaltens-,Verteilungsregeln und Bewertungsmuster für einen Staat, Gesellschaft und wenn es um Menschenrecht geht für jeden und alle auf unserem Globus..
Leider vermag kein Rechtsstaat und Gesellschaft es vollständige Gerechtigkeit herzustellen, schlicht und einfach in Folge seiner Vielschichtigkeit. Das Auseinanderfallen von Recht und Gerechtigkeit wird allerdings nirgendwo augenfälliger als in Unrechtsstaaten, wie wir ihn Deutschland in den Jahren des Dritten Reichs durchleben mussten. Jahre in denen Gesetze zu menschenverachtenden Zwecken missbraucht wurden. Ich erwähne dies hier, weil es hier um Sterbehilfe / um Euthanasie geht, und weil wir nun einmal in Deutschland und vielen Ländern, und überaus schrecklich in Deutschland, eine tiefschwarze 'Geschichte mit Euthanasie' haben
In der frühen Nachkriegsjahren kam es aufgrund dieser Erfahrung zumindest in Teilen der Rechtswissenschaft zu einem Umdenken: Sturer Gesetzesvollzug ohne Rücksicht auf die Inhalte der Gesetze galt nun als der eigentliche Fehler des Juristenstandes. Und auch ich wuchs in meiner Kindheit mit den Worten auf „Gesetz ist Gesetz, Befehl ist Befehl“.
Dem Denkansatz der puren Rechtstheorie und Rechtsphilosophie und der streng Trennung von Recht und Moral stellte sich sukzessive ein natürlicher Denkansatz gegenüber - ggf. liegt es daran, dass ich Recht und Gesetz als Laie betrachte - und Gesetze sich der Natur des Menschen, der Vernunft und Würde angleichen / widerspiegeln sollten. Etwas was ich in den Urteilen des österreichische Verfassungsgerichtes und des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe lese / wahrnehme.
Das neue „Sterbeverfügungsgesetz“ in Österreich ist notwendig geworden, da der Verfassungsgerichtshof das Verbot des assistierten Suizids in Österreich mit Ende 2021 aufgehoben hat. Wäre bis zum Jahresende nichts geschehen, so wäre die Beihilfe zum Suizid ab dem kommenden Jahr schlicht erlaubt gewesen, in sofern war die nun erfolgte Erlaubnis der Sterbehilfe ab 2022 in Österreich eher gezwungen als gewollt von den Parteien in Österreich. Konservative Organisationen und Religionsgemeinschaften haben auf eine rechtliche Absicherung gedrängt, damit es nicht zu Missbrauch kommt. In sofern wäre im Nachhinein eine Fristsetzung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an unseren Gesetzgeber in Deutschland auch vorteilhaft gewesen.
Sterbehilfegesetz ein Kompromiss
Jedes Sterbehilfegesetz bleibt ein Kompromiss, da auch ein Sterbehilfegesetz 'nur' eine ausgleichende Gerechtigkeit für Gesellschaft und alle individuellen Personen und deren Rechtsauffassungen und -interpretationen Raum und Rahmen sein kann, und damit leider nie alle Seiten zufriedenstellen kann.
Die Lösung die in Österreich gefunden wurde ist für die Gegner des assistierten Suizids ein ethischer Dammbruch und geht gleichzeitig den Befürwortern nicht weit genug - zumal es das Verbot der aktiven Sterbehilfe nicht gestattet. Auch wenn ich die Notwendigkeit einer aktiven Sterbehilfe sehe und einfordern würde und werde - sehe ich auch die mehr als juristischen und gesellschaftlichen Hürden - die Notwendigkeit einer aktiven Sterbehilfe sehe ich, da Menschen, die selbst nicht mehr in der Lage sind, das Sterbemittel einzunehmen, zum Weiterleben verdammt sind.
Erst in der Praxis wird sich zeigen, ob die neuen Österreichischen Gesetzesregelungen dazu beitragen, menschliches Leid im Einzelfall zu lindern, ohne dass es zu fragwürdigen Suiziden oder offenem Missbrauch kommt. Da ich gerade bei der Abgabe der Medikamente ein Missbrauchspotenzial sehe - diese Medikamente haben stark Sedierende Wirkungen die trauriger Weise in geringeren Dosierungen bei Gewaltverbrechen immer wieder nachgewiesen werden. Solche Medikamente sollten in den Händen von Ärzten bleiben, dazu komme ich gleich aber noch.
Mit solchen Erfahrungen die nun seit einiger Zeit in der Schweiz, Kanada, und anderen Ländern und nun Österreich gesammelt werden - wird die bisher recht abstrakte Debatte an Qualität gewinnen und können deren Gesetz dann verbessert werden und für ein Deutsches Sterbehilfegesetz eine Basis bilden.
Der gesellschaftliche Trend geht wahrscheinlich in Richtung weiterer Liberalisierung; wie weit, ist offen. Die Debatte über das Ende des Lebens wird niemals zu einem Abschluss kommen.
Kritik
Kritische Überlegungen zum Sterbehilfe in Österreich und in Teilen in den Gesetzesentwürfen der Parteien hier in Deutschland
Mein Hauptanliegen und Forderung, jedem Menschen, auch denen die nicht schwer erkrankt sind oder unheilbar krank sind, ein Sterben in Würde zu ermöglichen, ist in den Hintergrund gedrängt worden.
Kurze Zusammenfassung des Gesetzes in Österreich
Seit dem 1. Januar 2022 ist die Sterbehilfe in Österreich erlaubt durch ein Sterbeverfügungsgesetz.
Sterbewillige, die nachweislich unheilbar und schwer erkrankt sind, die deren Wohlerwogenheit und Freiwilligkeit ihres Wunsches aufzeigen / nachweisen können und über die nötige Geschäfts- und Entscheidungsfähigkeit verfügen, können bei einem Notar eine Sterbeverfügung abgeben. Im Gegensatz zu einer Patientenverfügung, die acht Jahre gültig ist, ist diese Erklärung nur ein Jahr gültig. Innerhalb dieses Zeitraums ist es den Betroffenen möglich, die erforderliche Dosis Natriumpentobarbital in der Apotheke zu beziehen. Das neue Gesetz befreit auch diejenigen von der Strafverfolgung, die im Prozess „helfen“, etwa indem sie das Präparat beschaffen und es an immobile Sterbewillige aushändigen / für diese besorgen.
Es ist rechtlich entscheidend, dass der Sterbewillige, solange er noch entscheidungsfähig ist, selbständig die tödliche Lösung einnimmt oder die Infusion selbstständig auslöst. Sollte ein Angehöriger der Person das Präparat oral verabreichen, beispielsweise wenn sie ihre Arme nicht mehr bewegen kann, kann dies zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren führen. Dies würde als „Tötung auf Verlangen“ gelten.
Im Gegensatz dazu wäre ein solches Verfahren im Rahmen der „aktiven Sterbehilfe“ legal, die 2001 als erstes Land der Welt in den Niederlanden legalisiert wurde, gefolgt von Belgien und Luxemburg.
Siehe auch Sterbehilfe was ist erlaubt!
Meine Kritik in einem Satz: Dieses Gesetz baut große, oft nicht zu bewältigende organisatorische Hürden auf.
Und mehr im Detail - Das Gesetz in Österreich schränkt die Straffreiheit auf eine schwere, beziehungsweise auf eine in absehbarer Zeit zum Tod führende, Krankheit ein. Person die unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden, auch Multimorbidität genannt - vor allem bei Personen mit zunehmendem Alter treten solche Mehrfacherkrankungen auf - und daraus resultierendes, existenzielles Leiden werden durch Gesetz nicht berücksichtigt.
Der schwammige Krankheitsbegriff im Österreichischen Gesetz, macht es dem begutachtenden Arzt kaum möglich die eingeforderten Prognosen bezüglich einer Todesfolge zu stellen. Dies bedeutet sowohl für den Betroffenen als auch für den Arzt eine erhebliche strafrechtliche, wie auch berufs- und standesrechtliche Gefahr in Konflikte zu geraten. Selbige Herausforderungen sehe ich in der Umsetzung und Vollzug bezüglich der notariellen Erklärungen.
Nur vorsichtig möchte ich die geforderten Zeitspannen kritisieren, ja man kann den Zeitrahmen zwischen ärztlicher Aufklärung und der Erstellung einer Sterbeverfügung (bei Notaren oder Patientenanwälten) mit 12 beziehungsweise in Akutfällen 2 Wochen in der Praxis als viel zu lang bemessen kritisieren aber ich kann auch die Ärztlich / Rechtssichere Seite sehen.
Das Österreichische Gesetz sieht den Arzt primär nur als Begutachter und sekundär noch in der Aufklärung des Sterbewilligen - und ja - unbedingt ja beides ist notwendig aber wie es auch schon die Niederlande und Belgien tun die Hilfeleistung zum Suizid muss. in meinen Augen, durch eine fach- und sachkundige Person, einen Arzt geleistet oder eng begleitet werden, vor allem dann, wenn der Sterbewillige aus Krankheitsgründen nicht oder nicht mehr in der Lage ist, das entsprechende letale Mittel selbst einzunehmen oder auch eine letale Infusion selber zu starten.
Im österreichischen Gesetz muss der Sterbewillige, wie aktuell auch aktuell in Deutschland erlaubt und möglich, die letzte zum Tode führende Handlung selbst ausführen.
Damit wird der Sterbewille von all jenen, die physisch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, das letale Mittel selbst einzunehmen, völlig außen vor und ausgeschlossen.
Schlussgedanke
Bei aller juristischen Herausforderung - für mich gilt das Recht auf Sterbehilfe für jedermann und jede Frau - in diesem Zusammenhang möchte ich das Urteil Bundesverfassungsgericht vom 26.02.2020 zitieren:
„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“
Und es darf weder aus juristischer noch ethischer Sicht zu einer Diskriminierung kommen. Darum denke ich braucht es auch die aktive Sterbehilfe für Menschen die die letzte Handlung nicht mehr alleine durchführen / starten können.
Überdies neben der Gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe sollte die Politik mehr Geld und Engagement zur Vorbeugung vor Suiziden und den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung bereit stellen. Damit Sterbewillige annehmbare Alternativen zum Freitod haben.
Update
Von Januar 2022 bis Dezember 2022 haben laut dem Österreichischen Gesundheitsministerium 111 Menschen eine solche Sterbeverfügung erstellen lassen, 90 davon haben das tödliche Präparat auch abgeholt, weniger als 10 haben tatsächlich den assistierten Suizid vollzogen.Das Sterbeverfügungsgesetz in einfacher Sprache
10.06.2024 - Das Österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat einen Leitfaden für die Praxis zur Sterbeverfügung erstellt.
Artikel zur Rechtslage der Sterbehilfe:
Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Regelungen zur Sterbehilfe - Gesetzesentwürfe verschiedener Parteien
Weiter Artikel in diesem Context:
Patientenverfügungen - Vorsorgemappe
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