Sterbehilfe in Deutschland und Österreich: Zwischen Selbstbestimmung, Misstrauen und rechtlichen Grenzen
Ihm wird vorgeworfen, einer vermögenden Witwe eine Überdosis des Schlafmittels Pentobarbital-Natrium verabreicht zu haben – die Sichtweise der Anklage ist aus Habgier. Sein Anwalt hingegen betont, dass es sich um eine gesetzlich erlaubte Sterbebegleitung gehandelt habe.
(Wichtiger Unterschied: In Österreich ist Pentobarbital-Natrium das übliche und zugelassene Medikament zur Durchführung eines freiwilligen, assistierten Lebensendes. Es kann auch oral eingenommen werden. In Deutschland hingegen ist Pentobarbital nicht zugelassen. Hier wird in der Regel Thiopental-Natrium verwendet – allerdings nur als Infusion und ausschließlich als sogenannter Off-Label-Use. Das bedeutet: Es ist nicht offiziell für diese Anwendung zugelassen, wird aber unter bestimmten Umständen eingesetzt. Oder in anderen Worten - obwohl das Medikament dafür nicht offiziell freigegeben ist, kann es unter ärztlicher Verantwortung dennoch verwendet werden. (Mehr zu Medikamenten und Alternativen zu Thiopental und Pentobarbital) )
Die rechtliche Lage in Österreich
In Österreich ist ein würdevolles Sterben durch assistierte Hilfe seit einer Gesetzesreform möglich. Das sogenannte Sterbeverfügungsgesetz erlaubt es schwerkranken Menschen, unter strengen Auflagen selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Zwei unabhängige ärztliche Gutachten, eine Wartefrist von drei Monaten sowie der eigenhändige Vollzug der Handlung – etwa das Trinken des Medikaments – sind gesetzlich vorgeschrieben. Die betroffene Person muss dabei bis zuletzt entscheidungsfähig sein.
Die Durchführung erfolgt in den meisten Fällen im privaten Umfeld. Über 90 % der begleiteten Sterbefälle, so die steirische Patientenanwältin Michaela Wlattnig, finden zu Hause im Beisein naher Angehöriger statt. Die Rolle dieser „assistierenden Personen“ ist mittlerweile gesetzlich geregelt: Sie müssen sich identifizieren, juristisch aufgeklärt sein und ihre Beteiligung dokumentieren lassen.
Der Fall des Winzers – Hilfe oder Tötung?
Im konkreten Fall hatte die 71-jährige Frau, laut Verteidigung, nach einem Schlaganfall und zunehmender Pflegebedürftigkeit eine Sterbeverfügung unterzeichnet. Zwei Ärzte sollen unabhängig voneinander ihren Wunsch nach einem würdigen Sterben bestätigt haben. Der Winzer habe laut seinem Anwalt das Medikament ordnungsgemäß in der Apotheke besorgt, es bereitgestellt – eingenommen habe es die Frau selbst.
Die Staatsanwaltschaft hingegen geht von einem Tötungsdelikt aus. Die Tochter der Verstorbenen, die im Testament nicht bedacht wurde, sowie ein Pfleger behaupten, die Frau habe nicht sterben wollen. Hier prallen emotionale, rechtliche und ethische Welten aufeinander – mit unklarer Beweislage.
Besonders brisant: Der Winzer war als Erbe eingesetzt worden. Damit stellt sich die Grundsatzfrage: Wann wird eine unterstützende Begleitung zu einem strafbaren Handeln? Und wie kann man sich gegen Missverständnisse oder Verdächtigungen absichern?
Der Verteidiger des Winzers kritisiert die rechtliche Unsicherheit. Wer beim Sterbeprozess hilft und gleichzeitig als Erbe in Erscheinung tritt, laufe Gefahr, später unter Mordverdacht zu stehen – selbst bei korrekter Einhaltung aller Vorschriften.
Professionelle Räume fürs Sterben? Eine differenzierte Sicht
In der Debatte wurde auch der Ruf nach professionell eingerichteten Sterberäumen laut – etwa nach dem Vorbild der Schweiz, wo Institutionen mit geschultem Personal unterstützend zur Seite stehen. Diese Idee erscheint zunächst sinnvoll, doch meine Erfahrungen aus der Begleitung und BEratung von Menschen die sich als Betroffene, als Sterbewillige mit dem Thema des eigenen Sterben beschäftigen und informieren wollen, zeigen ein anderes Bild.
Die allermeisten Menschen, die ich begleitet, beraten und befragt habe, äußerten einen klaren Wunsch: Sie möchten zu Hause sterben. Im eigenen Bett, im gewohnten Umfeld, bei ihren Liebsten. In Würde – aber eben in vertrauter Umgebung. Für viele wäre ein steriler Raum in einer Einrichtung eine zusätzliche Belastung, kein Trost.
Das heißt nicht, dass solche Orte grundsätzlich schlecht sind – im Gegenteil: Für Menschen ohne Angehörige oder mit speziellen medizinischen Bedürfnissen können sie hilfreich sein - aber sie dürfen und sollten nicht zur Regel werden. Sie sollten eine Option bleiben, keine Abdrängen in ein 'Sterbehaus' - Sterben gehört zur Gesellschaft, in die Gesellschaft und gehört zum Leben wie die Geburt.
Lehren aus dem Fall – worauf Betroffene und Angehörige achten sollten
Der österreichische Fall führt uns eindringlich vor Augen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig, sorgfältig und umfassend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wer sich ein selbstbestimmtes, würdiges Lebensende wünscht, sollte unbedingt:
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alle medizinischen, juristischen und psychologischen Schritte sorgfältig dokumentieren,
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die Kommunikation mit Angehörigen offen und regelmäßig führen,
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Vertrauenspersonen einbeziehen, die im Ernstfall bezeugen können,
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sich rechtlich absichern und beraten lassen,
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klare Formulierungen verwenden und keine Zweideutigkeiten zulassen.
Ganz besonders empfehle ich, die letzten Minuten des Sterbeprozesses zu dokumentieren. Dazu gehören:
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die direkte Frage, ob die sterbewillige Person hier und heute wirklich sterben möchte,
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ob sie weiß, was das Medikament bewirken wird,
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und die Entbindung aller Anwesenden von der sogenannten Garantenpflicht, also der Pflicht zur Lebensrettung.
Diese Gespräche und Einwilligungen sollten schriftlich und per Video festgehalten werden. Nicht aus Misstrauen – sondern zum Schutz aller Beteiligten. (Mehr zum Ablauf einer Freitodbegleitung)
Fazit: Sterbehilfe bedeutet Verantwortung – für alle
Sterbehilfe ist ein Thema, das tief unter die Haut geht. Es berührt unsere Vorstellung von Autonomie, Menschenwürde und Abschied. Umso wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft offen und differenziert darüber sprechen.
Ein würdiges Lebensende ist möglich – aber nur, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen verantwortungsvoll, transparent und mitfühlend erfüllt werden. Der Fall in Österreich zeigt: Ein einziges Missverständnis, eine Erbfrage oder eine unklare Dokumentation kann aus einer begleiteten Entscheidung einen Kriminalfall machen.
Deshalb mein Appell: Wer diesen Weg in Erwägung zieht – ob als betroffene Person oder als begleitende – sollte sich umfassend informieren, absichern und unterstützen lassen.
Würde braucht Vorbereitung.
In diesem Kontext Artikel aus meiner Q&A Reihe:
Q&A - Nachbereitung einer Sterbehilfe ... baut auf gute Vorbereitung
Q&A - Wie arbeiten Sterbehilfevereine?
Q&A - Wie fühlt es sich an, im Moment des Sterbens bei einem Freitod dabei zu sein?
Q&A - Sterbehilfeorganisationen und -vereine
Und um einen schnellen Einstieg zu bekommen - Sterbehilfe in Deutschland - Erläutert in 3 bis 4 Minuten (Lesezeit)
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