Geschichte eines Sterbewilligen: "Sterben ist für mich der Weg der Würde und Erlösung"

Seit Jahren ist es erlaubt, auch in Deutschland, den Freitod zu wählen und dafür Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen und zu geben. Jedoch war es von 2015 bis 2020 nahezu unmöglich. Dank des Urteils vom Februar 2020 sind die Türen wieder deutlich offener, die Diskussionen werden breiter und ehrlicher und gesellschaftlich akzeptierter.
Aber auch die Gegner die auch schon 2015 über andere bestimmen wollten, eigene Weltbilder anderen aufzwingen wollen, und durch neue, nahezu unüberwindbare Hürden aufbauen wollen - wie einer der Gesetzentwurf aus einer fraktionsübergreifenden Abgeordnetengruppe - hier auch ein Link zu den drei aktuellen Gesetzentwürfen https://deathwithdignity-wx-widowexperience.blogspot.com/2023/02/gedanken-zu-drei-gruppenantragen-von.html - wollen wieder durch Zwang und Verbote ‚Hilfe‘ ermöglichen- nach dem Motto ‚Ermöglichen jedoch nicht Fördern‘ – man könnte sich nur wundern und mit dem Kopf schütteln - wenn das Leid nicht so groß wäre.

Anton's Geschichte und Gedanken

Hier die Geschichte eines Mannes den ich über etwa eineinhalb Jahre unterstützen und begleiten durfte. Ende März nun ging er seinen Weg.

Anton A. (Name ist in Absprache mit dem Verstorbenen geändert) hatte seine Lieben noch einmal gedrückt und löste die Klemme der Infusion die Ihn sanft einschlafen und sterben ließ.
Seine Frau erzählte mir später (ich ließ die Familie nach dem Lösen der Klemme alleine - da ich nur als Zeuge anwesend war), dass ihr Mann noch "Danke“ und „Gute Nacht" gesagt habe, und nach ein paar Minuten ohne Schmerzen, ohne Kampf, ohne Zucken, ohne Krämpfen - einfach nur noch da lag "Es sah so aus, als wäre er einfach nur mal kurz eingeschlafen." „Mir tat es so gut ihn so sterben zu sehen, meinen lieben stolzen Mann.“

Der 60-jährige Anton A. gehört zu den wenigen hundert Menschen in Deutschland, die assistierte Sterbehilfe konnten ( Zahlen zur Sterbehilfe in Deutschland 2021 https://deathwithdignity-wx-widowexperience.blogspot.com/2022/02/zahlen-zur-sterbehilfe-in-deutschland.html )

Weiter Aussagen von Anton - die ich teilen darf

  • „Sterben durch Verhungern oder Verdursten, weil es keine Hilfe beim Sterben gibt – ist das nicht erbärmlich, entwürdigend?"
  • "Warum soll ich den Tod hinauszögern, wenn es nur Leiden ist was ich habe?"
  • "Ich bin froh gehen zu dürfen im Kreis meiner Lieben!“

Anton‘s Diagnose und Sichtweise

Angefangen, initiiert und entstanden und entwickelt hat sich der Wunsch zu sterben vor etwa fünf Jahren etwa Ende 2018. Nach anfänglicher Entwarnung fanden Ärzte einen Tumor, keine neue aber eine bitter vertraute Diagnose. Wie schnell und drastisch ein Krebs verlaufen kannte Anton A. schon. Bei einem Dorffest brach ein guter Bekannte und Freund ohnmächtig zusammen. "Am Vorabend wohl zu viel gebechert", war die Rede bei den Umstehenden. Wenige Monate später war der 35Jährige Familienvater unter Schmerzen an einem Tumor gestorben. So wie der Freund wolle er seine letzten Wochen unter keinen Umständen verbringen müssen, hatte sich A. geschworen: „Den ganzen Tag nur im Bett, gar einem Krankenhausbett, auf am Rücken liegen und an die Decke oder in den Fernseher starrend – das ist für mich kein Leben." „Sich mehrfach am Tag den Hintern von Fremden wischen zu lassen, keine Privatsphäre mehr zu haben, das ist nicht mein Leben.“

Anton nahm es selbst in die Hand, er informierte sich über palliativmedizinische und Hospiz Angebote. Das eine oder andere wie Betreuung war für ihn OK, aber dieses „Herauszögern des Todes das Verlängern des Existieren“ wie er es mehrfach nannte und wie es Palliativmediziner ihm aufzeigten das wollte er nicht.
Er wollte auch keinen Sterbehilfeverein – keine weiteren Regeln und Hürden. Er nahm es selbst in die Hand, was jeder sowieso tun muss – er schrieb nieder was ihm wichtig und richtig ist. Er formulierte was für ihn ‚Leben‘ und ‚Sterben‘ und der Tod bedeutet. Was er will und nicht will. Dabei half ihm auch seine Frau und Kinder, mit denen er dies alles besprach.

Dann ging es daran einen Arzt zu suchen. Etwas was ihm sehr viel Kraft kostete. Angefangen beim behandelnden Arzt und Ärzteteam war die Sorge um eine rechtliche Unsicherheit groß bis zu vielen anderen Ärzte die angerufen, angeschrieben wurde – sehr schroffe Abweisungen bis ins hier und da unhöfliche und respektlose Äußerungen, die meist unter dem Titel summiert werden können mit ‚Wie können Sie wagen nach so etwas auch nur zu fragen oder besprechen zu wollen‘.

Nach etwa einem Jahr Suche Ende 2020 ein halb oder dreiviertel Jahr nach dem Urteil in Karlsruhe, meldete sich eine Ärztin aus dem Anfangs angefragten Ärzteteam, und war bereit zu helfen wenn das notwendige Gespräch im Beisein eines Psychiaters geführt werden würde, und es auf Video, zur Rechtssicherheit aufgezeichnet werden würde und sie nochmals eine Woche Bedenkzeit bekommen würde.
Bei dem Gespräch konnten dann die beiden Ärzte sich davon überzeugen, dass Anton A. entscheidungsfähig war. Der Psychiater äußerte sich zu dem noch mit einem schriftlichen Gutachten, in dem er schrieb, dass auch ohne dem Vorliegen der tödlichen und dauerhaft beeinträchtigenden Krankheit ihm die Worte von Anton A. schlüssig und selbsterklärend waren. Nach der einwöchigen Bedenkzeit meldeten sich beide Ärzte mit der Mitteilung und Gutachten Anton A. zu helfen. 

Die Ärztin erklärte sich auch bereit am gewünschten Tag Anton A. den Zugang und die Infusion anzuhängen. Wollte aber bei dem Schritt in den Tod nicht mehr anwesend sein auch wenn sie zur Vorsorge in der Befreiung von der Garantenpflicht ( https://deathwithdignity-wx-widowexperience.blogspot.com/2022/01/befreiung-modifizierung-der.html  ) zur Sicherheit erwähnt wurde.

Als zermürbend empfand Anton A. nicht nur die oft unbeantworteten Schriftstücke die er versendet hat und das viele Herumtelefonieren – vielmehr waren es auch die in Aufklärung verpackten ‚guten Ratschläge‘, die wie ‚Nackenschläge‘ waren, so O-Ton, sich die Sache doch noch einmal zu überlegen. "Es geht Ihnen doch mit den Medikamenten so gut." oder Aussagen wie „Denken Sie doch an Ihre Frau, an Ihre Kinder, sein sie doch nicht Egoistisch.“ Ärzte, Kirchenvertreter und eine Reihe anderer haben Anton A. wieder und wieder ins Gewissen geredet, berichtete er: "Doch wie ich mich fühle, weiß nur ich." Und er sagte einige mal: „Ja darf ich denn wenn es um mein wichtigstes Gut und mein Leben geht nicht Egoistisch sein?“

Die letzten Tage

Noch am Morgen des Todestags ging er mit seiner Frau am Rhein entlang und genoss die warme Frühjahrssonne, so seine Ehefrau. Ihr Mann habe nie gejammert, jedoch wenn ihn Tage der Schmerzen ins Bett zwangen, sei ihr nicht entgangen, wie der ganze Körper vor Schmerz zitterte. „Bei allem Schmerz und Trauer, ich verstehe sehr gut, dass er sich noch mehr Leid ersparen wollte“, sagt sie: "Wir waren soweit es geht unterwegs: im Wald und an dem von ihm geliebten Rhein.“ „Es war eine Erlösung."

Anton A. schaute in den letzten Wochen, wie es auch meine Frau tat ( https://deathwithdignity-wx-widowexperience.blogspot.com/2021/06/my-experience-of-losing-my-wife.html ), fast freudig auf den geplanten Tod, auf den Tag seiner Erlösung.
Dass Ärzte Sterbehilfe ablehnen, weil sie nur für die Rettung von Menschenleben da seien, aber nicht für das Leben und Menschsein, dies hat er nie verstanden, und sagte: "Wenn es nicht mehr geht: warum diese Hinauszögern des Todes und das Verlängern der reinen Existenz. Es ist meine Würde, mein Leben!“


Informationen in diesem Kontext:

Sterbehilfe - Organisation, Hilfe finden, Kosten

Infos für Ärzte und zur Vorbereitung für das Arztgespräch

Gedanken zum selbstbestimmten Sterben



Comments

  1. Kommentare werden nicht publiziert. Ich lese Ihre Kommentare, nach Möglichkeit beantworte ich diese.

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