Reflexion zum Interview mit Dr. Sven Schwabe auf DocCheck
Hier ist der Link zum Interview auf DocCheck - Dauer des Interviews ca. 12 min.
Ich stimme Dr. Schwabe in vielen Punkten seines Interviews zu – und in den Aspekten, bei denen ich anderer Meinung bin, erkenne ich deutlich den Palliativmediziner, der da spricht – und damit die grundsätzliche Haltung der Palliativmedizin.
Bereits zu Beginn des Gesprächs bezeichnet Dr. Schwabe das Thema als vielschichtig – und doch bleibt es, trotz aller Komplexität, gut strukturiert und nachvollziehbar. Das liegt auch daran, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland grundsätzlich klar sind.
Die von ihm erwähnte Münchner Studie habe ich bereits früher ausführlich präsentiert und kommentiert (siehe hier).
Wie meine Leser*innen wissen, informiere ich regelmäßig über die Arbeit von Sterbehilfevereinen. Mein bevorzugter Weg zur Begleitung im Kontext des Freitods bleibt jedoch jener über die behandelnden Ärztinnen – insbesondere über Hausärzt*innen, mit denen häufig ein langjähriges und vertrauensvolles Verhältnis besteht. Gerade bei einer Entscheidung von solcher Tragweite halte ich dieses persönliche Vertrauensverhältnis für entscheidend.
Dr. Schwabe hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass das Thema Sterbehilfe im Medizinstudium nicht behandelt wird. Doch dieser Mangel betrifft auch andere sensible medizinische Bereiche – etwa Schwangerschaftsabbrüche. Auch hier müssen sich Ärzt*innen ihr Wissen und ihre Handlungskompetenz eigenständig aneignen.
Sehr wichtig finde ich Dr. Schwabes Hinweis auf das Fehlen klarer Leitlinien. Hier stimme ich ausdrücklich zu: Einheitliche Standards könnten vielen Ärzt*innen mehr Sicherheit im Umgang mit Anfragen zur assistierten Sterbehilfe geben. Dass deren Fehlen zu Unsicherheit und Zurückhaltung führt, ist offensichtlich.
Gerade Palliativmediziner*innen wie Dr. Schwabe, die der Realität sterbensnaher Patientinnen tagtäglich begegnen, wären besonders geeignet, an der Entwicklung solcher Leitlinien mitzuwirken. Umso mehr irritiert mich, dass er die Verantwortung überwiegend bei der Politik verortet – und sich damit teilweise aus der fachlich-medizinischen Verantwortung zurückzieht.
Anstatt sich aktiv an der Entwicklung praxisnaher Vorgaben zu beteiligen – etwa auf Basis der Erfahrungen aus Belgien oder den Niederlanden – verweist er auf eine noch zu schaffende gesetzliche Regelung. Doch selbst wenn ein solcher gesetzlicher Rahmen geschaffen würde, wären die Prozesse langwierig, politisch umstritten und rechtlich angreifbar. Eine praxisnahe, kurzfristig funktionierende Umsetzung für die Vielzahl individueller Fälle ist damit kaum zu erwarten.
Dass in Ländern wie Österreich oder den USA nicht wirklich klaren gesetzlichen Vorgaben bestehen, wird im Interview unklar erwähnt.
Wie dem auch sei – gerade das sollte Anlass sein, in Deutschland eigenständig zu handeln, gerade von Ärztlicher Seite, wie ich immer wieder in meinem Blog und meinen Vorträgen herausstelle, anstatt ausschließlich auf politische Lösungen zu hoffen, die womöglich gar nicht oder nicht rechtzeitig kommen. ( Siehe - Q&A - Wieso ich gegen die Gesetzentwürfe im Juli 2023 war und Q&A - Was stellen Sie sich vor, wenn es kein neues Gesetz, wie den §217 StGB geben soll? )
Was im Interview ebenfalls fehlt, ist der Hinweis, dass beide bisherigen Gesetzesentwürfe zur Regelung der assistierten Sterbehilfe wenig zielführend waren – einer davon stand sogar im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Auch die praktischen und ethischen Herausforderungen, die mit verpflichtenden Verfahren, festgelegten Qualifikationen und standardisierten Abläufen verbunden wären, bleiben unerwähnt.
Ich unterstütze ausdrücklich den Wunsch nach Leitlinien – und wie Dr. Schwabe es formuliert, den Aufbau auf bestehenden Verfahrensweisen. Initiativen wie das von Dr. Schwabe geleitete Forschungsprojekt ASEP (Assistierter Suizid in Deutschland – Erforschung der Praxis) oder das DFG-Netzwerk der Deutschen Forschungsgemeinschaft leisten hier bereits wichtige Grundlagenarbeit. Diese sollten jedoch nicht allein der Forschung vorbehalten bleiben, sondern möglichst bald in konkrete Empfehlungen für die ärztliche Praxis überführt werden.
Dabei darf nicht vergessen werden: Dr. Schwabe betrachtet das Thema aus der Perspektive der Palliativmedizin – und das prägt selbstverständlich seine Haltung.
Haltung der Palliativmedizin zu Leben und Sterben
Die Palliativmedizin hat zum Ziel, ein möglichst lebenswertes Leben bis zum Tod zu ermöglichen. Sie steht nicht für eine Verlängerung des Lebens um jeden Preis – aber auch nicht für eine aktive Lebensverkürzung, wie etwa bei der Tötung auf Verlangen.
Die Palliativmedizin definiert sich sinngemäß so:
Palliativmedizin verbessert die Lebensqualität von Patientinnen und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind – durch Vorbeugung und Linderung von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen körperlichen, psychosozialen und spirituellen Problemen.-
Pro Leben in Würde und Lebensqualität: Das Leben soll nicht künstlich verlängert, sondern so lebenswert wie möglich gestaltet werden – bis zuletzt.
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Gegen aktive Lebensverkürzung: Die klassische Palliativmedizin lehnt aktive Sterbehilfe – etwa die Tötung auf Verlangen – ab.
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Nicht gegen das Sterben: Der natürliche Sterbeprozess wird akzeptiert und begleitet – ohne ihn zu beschleunigen oder hinauszuzögern.
Persönliche Anmerkung
In meiner langjährigen Arbeit im Bereich der Sterbehilfe habe ich nur selten Palliativmediziner*innen erlebt, die sich so offen und differenziert äußern wie Dr. Sven Schwabe in diesem Interview.
Ich danke ihm dafür ausdrücklich – denn er zeigt, dass es innerhalb der Palliativmedizin auch Stimmen gibt, die bereit sind, neue Perspektiven einzunehmen.
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