Psychisch erkrankte Menschen mit freiverantwortlichem Sterbewunsch - Ein schwieriger Grenzbereich
Ein Aspekt, der besondere Aufmerksamkeit verdient, ist der Umgang mit freiverantwortlichen Sterbewünschen bei psychisch erkrankten Menschen.
Hier ist vor allem eines gefragt, was immer unbeschreiblich wichtig ist, aber noch um einiges mehr:
Zuhören – und zwar genau, sorgfältig und empathisch.
Besonders herausfordernd wird es, wenn Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen – etwa chronischen Depressionen, bipolaren Störungen oder komplexen Traumafolgestörungen – über einen längeren Zeitraum hinweg den Wunsch äußern, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. Nicht aus einem impulsiven Moment oder einer akuten Krise heraus, sondern als stabiler, reflektierter Entschluss, dem oft viele Jahre des Leidens und zahlreiche erfolglose Behandlungsversuche vorausgegangen sind.
Hier verschwimmen die Grenzen:
- Wann ist ein solcher Wunsch noch Ausdruck der Krankheit
- Wann ist er eine ernstzunehmende, eigenverantwortliche Entscheidung?
- Die Aspekte der Ambivalenz
Gerade in diesen Fällen stehen Angehörige, Ärztinnen, Psychotherapeutinnen und die Justiz vor tiefen Dilemmata - was kann man tun, was ist zu tun, was wird man tun? und dies alles auf juristischer Ebene, ethischer Ebene, persönlicher Ebene, und beginnend und endend mit der individuellen / persönlichen Ebene
Denn medizinisch und rechtlich gilt ein Sterbewunsch bei psychisch Erkrankten oft zunächst als behandlungsbedürftiges Symptom. Doch es gibt Situationen, in denen selbst nach sorgfältiger psychiatrischer Abklärung feststeht:
Der Wunsch ist konstant, wohlüberlegt, frei gebildet – und kein Ausdruck einer akuten Einengung.
Diese Fälle sind ethisch, rechtlich und medizinisch heikel – aber nicht ausgeschlossen.
Denn: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil vom 26. Februar 2020 (Az. 2 BvR 2347/15) entschieden, dass es ein allgemeines Persönlichkeitsrecht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Dieses umfasst ausdrücklich auch die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und dabei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, unabhängig von Alter, Krankheit oder Prognose. Das Gericht stellte klar:„Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinn ein Ende zu setzen, gehört zum eigenverantwortlichen Selbstbestimmungsrecht.“
– BVerfG, Urteil vom 26.02.2020
Juristischer Hintergrund und ethische Herausforderungen
Wie oben schon geschrieben und ich möchte mich wiederholen, das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 entschieden, dass es ein Persönlichkeitsrecht auf selbstbestimmtes Sterben gibt.
Dieses Recht gilt unabhängig von
- Alter,
- Krankheit
- oder Prognose
und schließt auch die Möglichkeit ein, Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen - die assistierte Sterbehilfe.
(siehe auch die 4 Formen der Sterbehilfe und Was ist Wo erlaubt, in Deutschland und anderen Ländern)
Allerdings macht das Gericht deutlich:
- Die Entscheidung zum Sterben muss freiverantwortlich sein
- also ohne äußeren Druck, ohne Manipulation und ohne akute krankheitsbedingte Beeinträchtigung des Urteilsvermögens.
Bei psychischen Erkrankungen ist diese Freiverantwortlichkeit besonders schwer zu beurteilen. Daher fordern medizinisch-ethische Leitlinien – etwa von der Bundesärztekammer – eine gründliche, interdisziplinäre Begutachtung.
Diese muss klären:
-
Ob der Wunsch wiederholt, über längere Zeit und konstant geäußert wurde,
-
Ob alle zumutbaren psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungsoptionen ausgeschöpft wurden,
-
Und ob die betroffene Person die Konsequenzen ihrer Entscheidung erfassen kann.
Vorsorge im Vorfeld
Neben den Gesprächen kann jeder der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt durch Dokumente vorsorgen:
Die meisten Menschen kennen die Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit einer Patientenverfügungen, zu der ich auch schon Artikel geteilt habe, aber Patientenverfügungen oder auch Vorsorgemappen beziehen sich meist oder in weiten Teilen auf das Lebensende und damit eignen diese sich nicht für psychische Krisen, oder anderen Situationen bei den auch keine eigene Willensäußerung möglich ist oder die Selbstbestimmungsfähigkeit, Einwilligungsfähigkeit, und Urteilsfähigkeit gänzlich unstrittig ist oder wäre. In dem Artikel - Psychiatrische Patientenverfügung ergänzend zur Patientenverfügung - habe ich schon zu Psychiatrische Patientenverfügung informiert - ein Dokument welches sich speziell auf psychiatrische Behandlung bezieht und Wünsche und Vorstellungen klar formuliert werden und auch Vorlagen verlinkt hat.
Zuhören, prüfen – und aushalten
In der Praxis bedeutet das: Nicht jede psychische Erkrankung schließt Freiverantwortlichkeit aus.
Aber sie macht deren Feststellung besonders anspruchsvoll. Alle Beteiligten – medizinische Fachkräfte, Angehörige, Ethikkommissionen und Gerichte – stehen vor der Herausforderung, zwischen Schutz und Selbstbestimmung abzuwägen. Auch die strafrechtliche Bewertung möglicher Beihilfe ist in diesem Kontext sensibel und oft unklar.
Dieser Grenzbereich verlangt mehr als klare Regeln. Er verlangt juristische Sorgfalt, medizinisches Wissen, ethische Reflexion – und vor allem menschliche Haltung. Es braucht eine Kultur des Zuhörens, des Prüfens und des Aushaltens. Denn nicht jeder Wunsch nach Sterbehilfe darf erfüllt werden – aber auch nicht jeder darf vorschnell als pathologisch abgetan oder entmündigt werden.
Wie es ein ärztliches Ethikkomitee treffend formulierte:
„Ein freiverantwortlicher Sterbewunsch ist auch bei psychisch Erkrankten denkbar – aber schwer zu erkennen. Und noch schwerer ist es, damit menschlich richtig umzugehen.“
Die zentrale Herausforderung bleibt:
Wege zu finden, die das Selbstbestimmungsrecht achten und zugleich den Schutz vulnerabler Menschen ernst nehmen – ohne in Zynismus, Paternalismus oder Gleichgültigkeit zu verfallen.
Artikel in diesem Zusammenhängen:
Ambivalenzen rund um die Sterbehilfe
Suizidalität ist keine Krankheit - Gedanken und Hinweise zu Suizidalität und Freitod-Gedanken
Suizidprävention - Suizid; Wie helfen und verhindern? Freitod; Wie helfen und ermöglichen?
Konzept - Sprechen über Freitod und Sterbehilfe
Leben und Sterben in Würde – Der Wunsch nach Selbstbestimmung bei schwerer chronischer Krankheit
Hilfe - Suizidprävention
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Die Telefonseelsorge hat eine gute und bewährte App entwickelt: den KrisenKompass.
Der KrisenKompass ist eine App, die dank ihrer Funktionsweise eine Art Notfallkoffer für Krisensituationen darstellt. In den Koffer können Sie positive Gedanken oder Fotos, Erinnerungen oder Lieder packen – Ihr persönliches Rüstzeug für schlechte Momente. Dazu dienen etwa die Tagebuchfunktion und die persönlichen Archive.
Darüber hinaus gibt es Materialien, die in Krisensituationen hilfreich sind, Hinweise zu beruhigenden Techniken, sowie direkte Kontaktmöglichkeiten zur TelefonSeelsorge und anderen professionellen Anlaufstellen. Was stabilisiert Sie, was hilft Ihnen jetzt gerade? Auf diese Fragen gibt die App Ihnen Antwort. KrisenKompass - App
Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr
unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333
Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden
unter 030 - 443 509 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de
Jüdische Bundesweite telefonische Hotline
Hebräischsprachige Hotline "Matan": ‚Matan‘ ist ein Projekt der Beratungsstelle ‚OFEK‚ e. V. und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
Telefonnummer: 0800 - 000 16 42
Hotline-Zeiten: Jeden Tag der Woche 20:00-22:00 - Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Telefonseelsorge (KTS) durchgeführt und durch die Deutsche Fernsehlotterie gefördert.
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de
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