Wirrwarr und Graubereiche wo keine sind - Sterbehilfe, Gesetzentwürfe und Regelansätze

Wenn man diesen Artikel des Tagesspiegel liest, wenn man die Aussagen der Politiker*innen liest - kann man hoffen, dass bei diesem Wissensstand es keine Neuregelung gibt die es nicht braucht und die nicht zielführend sein wird.

Heute gab es einen Artikel im Tagesspiegel unter dem Titel "Abgeordnete feilen an Entwürfen: Sterbehilfe-Wirrwarr – kommt eine Neuregelung noch 2024 durch den Bundestag?"

a) Kann ich, auch besten Wohlwollen, ein 'feilen' nicht erkennen - das treffendste Verb wäre eher 'zusammenschustern' oder 'zusammenreimen

b) Ein Wirrwarr ist nicht erkennbar, wenn man die bestehenden Gesetze beachtet und nutzt, dass die Gesetze vorhanden sind und Anwendung findet erkennt man an den neulichen Rechtsfällen.

c) es ist eher zu Befürchten als zu Begrüßen eine Regelung durch diese Politiker und Interessenvertretern der Kirchen zu bekommen


Den mangelnden Wissensstand zeigt wiederholt die Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), wie im Artikel zitiert: "Wir müssen dringend ein wirksames Schutzkonzept zum assistierten Suizid festlegen." "Der assistierte Suizid dürfe nicht schleichend zur Normalität werden." - falsche Wortwahl, falscher Kontext, falscher Realitäts- und 'Normalitätsbezug'. 
Frau Kirsten Kappert-Gonther ist und war Mitunterzeichnerin und mit die stärkste Wortführerin des restriktiven Gesetzentwurf durch Dr. Lars Castellucci, Ansgar Heveling, Dr. Kirsten KappertGonther, Dr. Konstantin von Notz, Petra Pau, Stephan Pilsinger, Benjamin Strasser, Kathrin Vogler, Katrin Göring-Eckardt, Hermann Gröhe, Dr. Rolf Mützenich, Cem Özdemir, und weiterer Abgeordneten.

Auch werden Vertreter eines etwas besseren Entwurf genannt und zitiert, jedoch ist es bezeichnend, dass auch nach 'jahrelangem Feilen' auch zwei Juristen wie Katrin Helling-Plahr von der FDP und der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner von Graubereichen sprechen:  „Ohne ein klar geregeltes und kontrollierbares Verfahren, ohne rechtliche Sicherheit“ die nicht existieren. Oder Frau Renate Künast (Grüne) beschreibt die aktuelle Lage in Deutschland so: „Wir lassen Menschen mit Sterbewunsch allein." in diesem Punkt hat Frau Künast recht - zieht aber die falsche Schlussfolgerung ... "Im Bereich der Sterbehilfe agieren Vereine, deren Arbeit nicht klar geregelt ist und die den Zugang zur Hilfe von hohen Beiträgen abhängig machen.“


Die Entwürfe aus Juli 2023

Zum Glück eines jeden, der Sterbewilligen und Helfern, fanden weder der restriktive Entwurf der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci - noch der etwas liberalere Entwurf von Helling-Plahr, Renate Künast und anderen bei der Abstimmung im Juli 2023 eine Mehrheit. Übersehen darf man dabei nicht, dass Konservativen Abgeordneten - mehrheitlich aus der CDU/CSU-Fraktion und AfD - war selbst der Antrag von Castellucci und Co. noch zu freiheitlich formuliert.

Aus beiden Gruppen werden Überarbeitungen deren Gesetzesentwürfen bekannt.  Aber, wie schon berichtet hat sich eine neue Gruppe um den Neurologen Armin Grau gegründete - Armin Grau war bislang Unterstützer des restriktiven Castellucci Entwurf - wie bereits auch schon berichtet, was mir bekannt wurde, ist auch dies ein Entwurf der wenig gutes verheißt.

Nicht nur Katrin Helling-Plahr wie im Artikel genannt, sondern auch weitere Minister und ganz vorne an Marco Buschmann. der Bundesminister der Justiz, äußern sich mit dem Wunsch, "noch in dieser Legislaturperiode eine Regelung auf den Weg zu bringen, die von einer breiten Mehrheit getragen wird."

Der Bundestag hat im Juli 2023 mit großer Mehrheit, wie meine Leser sich ggf erinnern, mit größter Mehrheit die Stärkung der Suizidprävention ausgesprochen und eigentlich sollte bis Ende Januar ein Konzept vorliegen - doch auch auf meine Recherche hin konnte ich nichts wesentlichen herausbekommen. Im Tagesspiegel wird nun der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach genannt mit einem Zeithorizont in diesem Monat April.


Grundrecht auf Sterbehilfe: 

Vor 4 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht Sterbehilfe unzweifelhaft zum Grundrecht erklärt.
Das Karlsruher Urteil hört sich revolutionär an, ist es aber nicht. Denn klar, es kann – außer nach religiösen Vorschriften – niemandem verboten werden, sich zu töten.

Wer den Tod will, braucht keine Gesetz und in jedem Fall kann ein Strafgesetz (wie es Lars Castellucci und Co wollen) niemals der Weg sein um Freiheit zu gewährleisten.

Aus oder für dieses Grundrecht ein Gesetz zu machen, ist schwierig– um nicht zu sagen: überflüssig - nicht zielführend. Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen, meinte der französische Staatstheoretiker Montesquieu. Der Mann hat recht, hatte aber wohl noch keine Idee davon, was in der Zukunft alles als „notwendig“ erachtet werden könnte.

Jedes der oben genannten drei Entwürfe ist kompliziert. Sterben wird mit Gesetzen schwieriger als ohne. Ohne Gesetze ist Sterbehilfe auch möglich, wie sich an den Tätigkeiten aktiver Sterbehelfender zeigt. Skandale oder Missstände, die dieses Wort verdient hätten, sind im Promille-Bereich und damit meine ich im Prinzip nur zwei Fälle von Hunderten (siehe Zahlen und Fakten) die von Dr. Spittler und Dr. Turowski. Und weder Suizid, dem eine vernetztes gutes Präventionskonzept fehlt (siehe oben) noch die Sterbehilfe ist auch nicht „normal“ geworden, wie mancher befürchtete oder nach wie vor befürchtet.


Was ist notwendig?

Sterbehilfe zu verbieten, ist unmöglich geworden - wenn auch viele Interessenvertreter und Politiker tun was in deren Macht und Einflussbereich steht. Ich habe in den letzten Monaten häufig erläutert, dass ein wohlerwogener Freitod und Sterbehilfe möglich ist. Das unsere bestehenden Gesetze eine recht gute, wenn ich nahezu vollkommene gute rechtliche Basis bilden, wenn ...

  • das Betäubungsmittelgesetz optimiert wird,
  • zivilrechtliche Grundlage für Ärzt*innen geschaffen werden und von Ärztekammer un­miss­ver­ständ­lich Regelungen (siehe hierzu auch "Ärztliche Unterstützung bei Sterbehilfe"). Ich denke zum Beispiel an eine Ergänzung in der ärztlichen (Muster-)Berufsordnung wie, dass Sterbehilfe durch Ärzt*innen grundsätzlich zulässig ist, wenn die Entscheidung zu einem Freitod tatsächlich dem freien und wohlerwogenen Willen des Betroffenen entspricht. Sowie, dass die ärztliche Sterbehilfe, nach einer wohlabgewogener Gewissensentscheidung des Arztes / der Ärztin, eine freiverantwortliche ärztliche Entscheidung ist.
  • Exekutive in Deutschland (Staatsanwaltschaft, Polizei und Kriminalpolizei) ebenso klare Regelungen und Fortbildungen erhalten (ich habe bislang nur wenige Beamte erlebt die über die aktuelle Rechtslage seit 2020 aufgeklärt sind - Polizeiliche Ermittlung im Fall eines Freitod
  • Das Beraten und die Durchführung von Sterbehilfe, wie auch die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, sollte außerdem verbindlicher Bestandteil des Medizinstudiums in Deutschland werden. 

... alle anderen Fälle decken die bestehenden Gesetze und das bestehende Strafgesetzbuch ausreichend ab, wie auch der aktuelle rechtliche Status Quo und die Freitode in dieser Zeit zeigen Zahlen und Fakten zur Sterbehilfe - Diagnosen und Gründe - Zahlen zur Sterbehilfe in Deutschland 2021, 2022 und 2023 aufzeigen. 



Artikel in diesem Zusammenhang:


Neuauflage eines § 217 StGB - Nicht Notwendig - Nicht Zielführend

Informationen, Filme, Video, Audio und mehr zum Thema Sterbehilfe und würdigem Sterben

Comments

  1. Bitte hinterlassen Sie mir ihre Gedanken. Wie immer gilt, veröffentlichen werde ich keine Kommentare, aber lesen werde ich sie immer. Danke für Ihr Verständnis.

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